Hamburg. Um ein deutlich jüngeres Publikum zu erreichen, spielt Jazz nur noch eine Nebenrolle. Auch sonst gibt es spürbare Veränderungen.

  • Wenn Indierock auf Britpop trifft, aber der Jazz zur Nebensache wird
  • Langjährige Fans sind von Neuausrichtung enttäuscht
  • 22.500 Besucher kamen, die Veranstalter hatten auf mehr gehofft

„Ich will mich einfach nur aufwärmen“, sagt eine Besucherin und setzt sich am frühen Sonnabendabend in der Schiffbauhalle bei Blohm+Voss auf einen der wenigen freien Plätze. Es dauert noch fast eine Stunde, bis hier das nächste Konzert beginnt, aber die Halle ist so voll, dass kurz darauf ein Einlassstopp verhängt wird. Nicht zum ersten Mal. 12 Grad und immer wieder Regen zeigen Wirkung. Viele wollen einfach nur noch im Trockenen sitzen. Dass irgendwann auch eine Band spielt, wird angesichts des Wetters fast zur Nebensache.

Elbjazz Festival Hamburg: Langjährige Fans sind von der Neuausrichtung enttäuscht

Was zu einem Festival passt, bei dem der Jazz zur Nebensache geworden ist – obwohl er doch immer noch im Namen steht. Elbjazz, das bedeutete mal Gregory Porter und John McLaughlin, Joshua Redman und Jan Garbarek, Kamasi Washington und Klaus Doldinger, sogar Free-Jazz-Legende Alexander von Schlippenbach hat hier gespielt. Und heute? Ist der Jazz, so das Gefühl, nur noch geduldet. Auf den beiden Hauptbühnen bei Blohm+Voss kommt er so gut wie gar nicht mehr vor, hier trifft Indierock (Betterov) auf Britpop (Belle & Sebastian), gibt es eine Bühne für Rap und Reggae, aber – sieht man einmal von der NDR Bigband ab – nicht mehr für den Jazz, einst Kernstück dieses Festivals.

Was nicht bedeutet, dass die Programmauswahl musikalisch schlecht wäre. Der furiose Electrofunk von L‘Impératrice sorgt am Freitag für ausgelassene Partystimmung. Die Band in ihren Raumschiff-Enterprise-Gedächtnis-Outfits mit aufgebrachten untertassengroßen Leuchtkörpern ist eine der Entdeckungen des Festivals. Und gegen eine beseelt rappende Akua Naru, die die Freuden der Mutterschaft wortreich preist, lässt sich auch nichts sagen. Ebenso wenig gegen den treibenden Rave-Sound von Faithless, der von einer starken Licht- und Videoshow stimmungsvoll unterfüttert ist. Auch Asaf Avidan überzeugt: als Soloact auf der Hauptbühne mit viel Charisma und enormer Bandbreite. Ob Blues oder Operngesang, der Mann kann alles.

Einer der wenigen Jazzgrößen: Saxofonist Scott Hamilton bei seinem Auftitt beim Elbjazz Festival.
Einer der wenigen Jazzgrößen: Saxofonist Scott Hamilton bei seinem Auftitt beim Elbjazz Festival. © Christoph Eisenmenger | Christoph Eisenmenger

Nur: Mit Jazz hat das in den meisten Fällen null Komma nichts zu tun. Den findet man gelegentlich in der Schiffbauhalle, vereinzelt in der Elbphilharmonie und ansonsten vor allem in der Hauptkirche St. Katharinen, am Jazztruck des Hamburger Jazzbüros oder auf der Young Talents Bühne der Musikhochschule. Jahrelangen Elbjazz-Gängern gefällt das nicht unbedingt, wie ein Blick auf Facebook-Kommentare zeigt: Von einer „Riesenenttäuschung“ ist da die Rede, von einem „seelenlosen Musikmischmasch, der auf billige Effekthascherei getrimmt wurde“. „Noch mal werde ich mir so ein Programm nicht zumuten“, heißt es da und: „Schade, wir haben das Festival geliebt (...) In Zukunft vielleicht eher ohne uns.“

Elbjazz Festival: 22.500 Besucher kamen, die Veranstalter hatten auf mehr gehofft

22.500 Menschen sind in diesem Jahr zum Elbjazz gekommen, das bedeutet, etwa 11.000 pro Tag. Mehr als 2023 (20.000), aber – so ist zu hören – es war im Vorfeld auf eine deutlich höhere Zahl gehofft worden. Schließlich ist so ein Festival teuer, und das Geld muss wieder reinkommen. Vielleicht der Grund für einige Veränderungen, die Geld gespart haben dürften: Eine Bühnenmoderation gibt es nicht mehr, auf das vor Regen schützende Dach vor der Bühne Am Helgen wurde verzichtet, ein Flyer ersetzt das sonst übliche Programmheft. Und in der Elbphilharmonie finden nur noch zwei Konzerte pro Tag statt. Das spart Miete, ergibt aber auch Sinn. In den vergangenen Jahren kaufte so mancher ein Elbjazz-Ticket, weil damit ein Besuch im Großen Saal des Konzerthauses garantiert war. Inzwischen hat so ziemlich jede und jeder der Elbphilharmonie mindestens einen Besuch abgestattet – der Extraanreiz für den Kauf einer Festivalkarte ist nicht mehr da.

Rapperin Akua Naru pries beim Elbjazz Festival das Glück, Mutter geworden zu sein.
Rapperin Akua Naru pries beim Elbjazz Festival das Glück, Mutter geworden zu sein. © Jens Schlenker | Jens Schlenker

Für das schlechte Wetter, das natürlich auf die Stimmung drückt und die nassen Sitzbänke auf dem Blohm+Voss-Areal verwaist bleiben lässt, kann niemand etwas. Der musikalische Richtungswechsel aber ist gewollt und hat Kalkül. Man möchte mit Pop, Soul und Electro ein jüngeres Publikum erreichen, die 30- bis 40-Jährigen sind im Fokus, explizit nicht mehr die traditionellen Jazzfans. In der kurz nach Festivalende verschickten Pressemitteilung kommentiert Festivalleiter Alexander Schulz das so: Es sei „die vielleicht spannendste Ausgabe bislang“ gewesen, man sei dem Ziel, „das Elbjazz als erfolgreiches Crossover-Festival zu etablieren und seine Attraktivität für ein noch größeres und jüngeres Publikum zu erhöhen, ein großes Stück nähergekommen“. Als Trostpflaster für alle, die sich im Line-up nicht mehr so recht wiederfinden, heißt es: „Bei aller Liebe zu Experimentellem, zu Rock, Funk und Soul. Handgemachter Jazz wird hier auch im Jahr 2025 eine Bühne finden.“

Ehrlicher wäre es, das Festival künftig zum Beispiel „Elbmusic“ zu nennen

Die Frage ist nur: Warum eigentlich? Um den international gut eingeführten Namen „Elbjazz“ halten zu können? Ehrlicher wäre es, das Festival künftig zum Beispiel „Elbmusic“ zu nennen. Dann würden auch keine Erwartungen mehr geweckt, die man nicht mehr erfüllen kann oder will. Wie gesagt: Die Auswahl der Bands und Soloacts war qualitativ betrachtet weitgehend gut, aber wenn ein Festival sich so weit von seinen Wurzeln entfernt, wäre dann nicht ein klarer Schnitt besser?

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Mit dem 6. und 7. Juni liegt der Termin für das Elbjazz 2025 bereits fest, der Verkauf der preisreduzierten Early-Bird-Tickets hat begonnen, Künstlernamen gibt es allerdings noch nicht. Jazz, so viel ist nach der diesjährigen Ausgabe wohl sicher, wird keine Hauptrolle spielen. Dafür bräuchte es in Hamburg ein anderes, ein neues Festival.