Hamburg. Eigenwillig und ausdrucksstark: Ein Portätkonzert im Kleinen Saal zeigte die stilistische Vielfalt der Komponistin Sofia Gubaidulina.
Dass eine Internet-Suche für den Begriff „Aquaphon“ zuerst zu einem elektroakustischen Wasserlecksuchgerät führt, könnte die Komponistin Sofia Gubaidulina womöglich sehr amüsieren. Denn die große alte Dame unter den zeitgenössischen Komponistinnen hat in ihrer Tonsetzerin-Abgeschiedenheit vor den Toren Hamburgs natürlich nicht auf Sanitärinstallateurin umgeschult.
Elbphilharmonie Hamburg: Avantgarde-Musik als Kassengift? Weit gefehlt!
Im letzten der vier Porträtkonzerte, mit denen die Elbphilharmonie und die NDR-Reihe „das neue werk“ der 92-Jährigen leicht verspätet zum runden Geburtstag gratulierten, brachte gleich zwei Aquaphone (Künstlername: Ozeanharfe) zum Einsatz. Das Publikum im sehr gut gefüllten Kleinen Saal, generationsübergreifend und bunt gemischt, war bereits davon begeistert. Es steigerte sich von Stück zu Stück in erfreuliche Begeisterung für nicht gerade luftigleichte Kunst-Kost. Und ganz nebenbei war diese Wertschätzung auch ein Beleg dafür, dass derart anspruchsstarke Programmkonzepte in dieser Stadt inzwischen kein eindeutiges Kassengift mehr sind.
In „Am Rande des Abgrunds“ (2002) sorgten die zwei mit einem Bogen gestrichenen Perkussionsinstrumente für sanfte Suspense-Stimmung. Mit ihrem ätherischen Säuseln verstärkten sie das manische Trudeln der sieben Celli aus dem NDR-Orchester durch die Klangstudie. Den angesprochenen Abgrund symbolisierte das wild rumpelnde Jonglieren der Celli-Gruppe mit dem sehr symbolischen „Dies irae“-Motiv, einem harsch konturierten Wegweiser zum Jüngsten Gericht, der mit langen, klagenden Melodiebögen eines einzigen Cellos überbaut wurde. Spirituelles und Spiritistisches lagen da, wie manchmal gern bei Gubaidulina, nicht allzu weit auseinander. Toll aber, ohne Wenn und Aber, dass sie offenbar aus jeder noch so speziellen, selbst verordneten Instrumenten-Kombination immer wieder mit eigenwillig packenden Lösungen herausfinden konnte.
Musik von Sofia Gubaidulina in der Elbphilharmonie: Geht es noch reizvoll verschrobener?
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Ohne die Aquaphone, aber mit einem weiteren Cello, setzte „Mirage: Die tanzende Sonne“ diese Experimentierfreude-Dokumentation auf der Bühne fort. Ein gleich altes Schwesternstück, noch freier in der Wahl der Ausdrucksmittel, noch eigenwilliger, weil die acht Instrumente mit großer Freiheit erkundeten, wie weit sie sich voneinander entfernen können, ohne dass die Gesamtstruktur Risse bekommt. Geht es noch reizvoll verschrobener? Mit dem frühen „Konzert für Fagott und tiefe Streicher“ von 1975 durchaus. Ein Konzert, das mit einer Kadenz beginnt, die normalerweise erst der Abbinder wäre; eine virtuos inszenierte Reibungsfläche, auf der David Spranger als Solist jede Menge Wirkungstreffer erzielte, die über das Fagott-Klischee hinausgehen. Marin Alsop, die als Dirigentin die wild wuselnden Streicherstimmen präzise zusammenhielt. Avantgarde zum Angewöhnen.
Marin Alsop dirigiert am 31.5., 20 Uhr, das NDR Elbphilharmonie Orchester: Werke von Beethoven, MacMillan und Prokofiew, mit Jess Gillam (Saxofon). Gr. Saal. Evtl. Restkarten an der Abendkasse.