Hamburg. Die New Yorker Free-Jazz-Combo machte beim Musikfest Hamburg keine Gefangenen. Atempausen waren bei diesem Auftritt nicht vorgesehen.

Los geht es mit einer Attacke auf die Gehörgänge. Nach einem perkussiven Intro der Irreversible Entanglements erzeugt Bassist Luke Stewart laute Rückkoppelungen, indem er seinen Bass vor einer Box minutenlang hin und her bewegt. Auch Trompeter Aquiles Navarro macht das Zuhören nicht einfach. Er bläst in eine große Muschel und kreiert dunkle Töne, die große Ähnlichkeit mit einem Nebelhorn haben und es nicht gerade erleichtern, sich auf die poetischen Texte von Moor Mother zu konzentrieren.

Elbphilharmonie: Irreversible Entanglements attackieren die Gehörgänge

Die New Yorker Künstlerin hat die Irreversible Entanglements 2015 gegründet, um ihre Spoken-Word-Texte musikalisch unterfüttern zu können. Um Wohlklang gebt es dabei allerdings nicht, das Quintett ist eine beinharte Free-Jazz-Combo mit deutlichen Einflüssen aus den 60er-Jahren, als Musiker wie John Coltrane, Archie Shepp und Albert Ayler den Jazz von allen Fesseln befreiten und ihn zu einem kämpferischen Sprachrohr der Afroamerikaner machten.

Nach 20 Minuten hat das Ensemble aus Übersee im nicht ganz ausverkauften Kleinen Saal der Elbphilharmonie seinen Groove gefunden, Navarro bläst messerscharfe Riffs auf seiner Trompete, Keir Neuringer spielt wilde Klangkaskaden auf dem Sopransaxofon, Stewart und Schlagzeuger Tscheser Holmes schaffen einen rhythmischen Puls.

Irreversible Entanglements thematisieren Rassismus und Polizeigewalt

Camae Ayewa, die sich den Künstlernamen Moor Mother gegeben hat, skandiert in diesem Klanginferno ihre Texte. Einerseits drückt sie darin ihre Wut über die Zustände in ihrer Heimat mit Rassismus und Polizeigewalt aus, andererseits sehnt sie sich nach Sonne, Frieden und Liebe. Dann werden die Passagen geradezu spirituell und ihre Musiker fahren das Energielevel herunter.

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Moor Mother und Irreversible Entanglements sind zum ersten Mal in Hamburg; Luke Stewart, einer der aufregendsten Bassisten der jungen Jazz-Generation, gastierte jedoch vor ein paar Wochen schon mit David Murray in der hiesigen JazzHall.

Die ungewöhnliche Combo beeindruckt mit einem Auftritt ohne Atempause. 90 Minuten lang spielen Irreversible Entanglements am Stück, die einzelnen Kompositionen gehen nahtlos ineinander über und lösen beim wohl informierten und konzentrierten Publikum am Ende begeisterten Beifall aus.