Hamburg. Ein düsteres Märchen aus dem New York der 80er: Ein Junge verschwindet, sein kaputter Vater will ihn wiederfinden. Kann die Serie was?
Es gibt surreale Momente, gar nicht wenige, in der britischen Netflix-Hochglanz-Serie „Eric“. Eric ist eigentlich eine Puppe, ein erst mal lieb und kindgerecht anmutendes Zottelmonsterchen. Erfunden von Edgar, dem minderjährigen Sohn des New Yorker Puppenspielers Vincent Anderson.
Der rennt, als Edgar auf dem Weg in die Schule verschwindet, seelisch verwahrlost, besoffen und reichlich verzweifelt durch die Straßen einer Stadt, die in den 80er-Jahren noch stanken und räudig waren. Benedict Cumberbatch („Sherlock Holmes“, „The Power of the Dog“) spielt den desaströs derangierten, lebenslang mit inneren Dämonen kämpfenden Künstler und Tolstoi-Fan mit eindringlicher Vehemenz.
Netflix: Benedict Cumberbatch dreht in der neuen Serie „Eric“ durch
Und er hat jenen Fell-Eric bei der Schnitzeljagd (der Sohn hat Zeichnungen hinterlassen, die den Weg zu ihm weisen könnten, glaubt der Vater) mit dabei, in seiner Einbildung zumindest. Spricht mit ihm, will auch mit seiner Hilfe Edgar wiederfinden. Eric ist aber, zumindest in Vincents Version, ein stellenweise hundsgemeiner Typ.
Wie Vincent selbst ja auch, der weder in seiner Familie noch im Studio, in dem die von ihm erfundene erfolgreiche Kindersendung „Good Day Sunshine“ produziert wird, Popularitätswettbewerbe gewinnen würde. Edgar ist übrigens nicht der einzige verschwundene Junge, in einem Club ist einige Zeit vorher ein weiterer Teenager verloren gegangen.
Benedict Cumberbatch in „Eric“: Durchdrehen auf Netflix in einer düsteren Stadt
Es ist ein bedrohliches New York, entsprungen einem Fiebertraum, das sich in „Eric“ entblättert. Das psychologische Mystery-Drama, das von einer unheilen Familie und der zerrütteten Ehe Vincents mit Cassie (Gaby Hoffmann) erzählt, aber auch die Abgründe einer Stadt der Megareichen und Komplettarmen zeigt, ist ein farbensattes Historiengemälde. Vincents Vater ist ein von ihm gehasster Immobilienmogul, der mit einem Bürgermeisterkandidaten New York aufmöbeln will. In der Kanalisation leben Menschen wie Ratten, und beim NYPD hassen sie Schwule, ziehen in den queeren Etablissements, die man damals noch nicht so nannte, die Freier ab. Kurz: Es ist eine schlechte Welt.
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Eine Welt, in der wie bei Dickens alles mit allem zusammenhängt und sich das Große im Kleinen spiegelt. Die gekonnt auf Anrührung beim Betrachter gepolte Vater-Sohn-Geschichte ist der eine große Erzählstrang; der andere widmet sich dem im Fall der verschwundenen Jungen ermittelnden Detective Michael Ledroit (McKinley Belcher III), der der Welt seine Homosexualität nicht offenbart und den Tod des Lebensgefährten erleben muss. Homophobie, Aids, Obdachlosigkeit, Sucht, nicht zuletzt Rassismus: „Eric“ ist ein düsteres Märchen, in dem geplagte Menschen versuchen, das Richtige zu tun. Oder eben nicht.
Neue Netlixserie „Eric“: Hollywoodstar Benedict Cumberbatch hält den Sechsteiler zusammen
Wobei Hollywoodstar Cumberbatch als haltloser Zyniker mit gut verstecktem Herz, der überall aneckt, den in seiner Bildsprache konsequent überstilisierten Sechsteiler insgesamt zusammenhält. Die Geschichte des Mannes, der vor lauter Selbsterkenntnis und Verlustschmerz durchdreht und hart auf dem Asphalt landet, um heroisch wieder aufzustehen, stellt den Kitsch im Blockbusterformat aus. Natürlich ist das alles sehr professionell gemacht und für die breite Masse, sagen wir es ruhig: „Eric“ fühlt sich ganz und gar so an wie ein Coldplay-Song.
Dank Starpower wird diese englische Produktion ein Hit werden, ist jedoch längst nicht so interessant wie der ebenfalls englische Überraschungserfolg „Baby Reindeer“.
„Eric“ ist ab dem 30. Mai auf Netflix abrufbar.