Hamburg. Der Schauspieler und Autor über Timing auf der Bühne und Beethoven, über Werder-Tattoos und Klavierunterricht.

Diese Stimme, dieser Tonfall ... Man muss Matthias Brandt nicht sehen, um ihn sofort zu erkennen, egal, in welcher Rolle im Kino oder im Fernsehen. Brandt hat in einem packenden Kammerspiel den geistig verwirrten Komponisten Robert Schumann in dessen letzten Tagen auf die Bühne gebracht, ist ein großer Klassik-Fan – und damit auch als Schauspieler eine Idealbesetzung für ein Gespräch etwa über Timing und Rhythmus.

Kommt ein Orchester bei einem Konzert aus dem Rhythmus, ist im Zweifelsfall der Dirigent dafür zuständig, es wieder in die Spur zu kriegen. Gerät eine Theatervorstellung aus dem Rhythmus, muss es doch fürchterlich schwer für das Ensemble sein, das wieder einzurenken.

Ja, und oft funktioniert es ja auch nicht, aber man kann natürlich mehr kaschieren als ein Orchester, weil es dort sofort hörbar ist.

Woher kommt bei Ihnen das Interesse an Musik und insbesondere an klassischer Musik? War es das Elternhaus, das Schulorchester, Zufall?

Neigung, schlicht und ergreifend, ich bin nicht dahingehend konditioniert worden. Es hat aber immer eine große Bedeutung für mich gehabt, mein Musikgeschmack reicht von Techno bis Gregorianik. Natürlich hat Musik in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Funktionen. Als Jugendlicher habe ich mich sehr stark über Musik definiert, Musik war eine Hilfe zur Persönlichkeitsfindung. Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, als Musik nicht wie heute unbegrenzt verfügbar war, im Zeitalter der Langspielplatte. Da bestimmte die Entscheidung, sich ein Album zu kaufen, das Lebensgefühl der nächsten vier bis sechs Wochen, ein Fehlkauf rächte sich bitter.

Matthias Brandt: „Es muss auch Leute geben, die gut zuhören können“

Eine Markus-Lanz-Frage dazu, tut mir leid: Was macht gute Musik mit Ihnen?

Es gibt einen Punkt, bei dem ich Leute sehr beneide, die Musik machen können. Das ist der Punkt jenseits der Sprache. Beim Schauspielen gibt es einen Punkt, wo man etwas ausdrücken möchte, was aber mit Worten nicht mehr auszudrücken ist. Erlebt man Musiker, die substanziell arbeiten, hat man das Gefühl, dass die in einen anderen Bereich vorstoßen können und sich in einem anderen Bereich als Sprache artikulieren können.

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Matthias Brandt: „Es muss auch Leute geben, die gut zuhören können“

Erstklassisch mit Mischke - Klassik hautnah

Auf der Sedcard Ihrer Agentur steht über Sie, dass Sie Saxophon spielen können. Wie weit ist das gediehen?

Nicht weit, aber gar nicht so sehr aus Nichtbegabung. Ich hätte leider früher anfangen müssen, ein Instrument zu lernen. Mit dem Saxophon habe ich als Jugendlicher begonnen und mich für Jazz interessiert. Und stellte relativ schnell fest, dass ich im Hören weiter bin als im Tun. Das war frustrierend. Aber es muss ja auch Leute geben, die gut zuhören können.

Ich hatte ein Bild vor dem geistigen Auge von Ihnen als junger Mann in Bonn wie Sonny Rollins in New York auf der Brooklyn Bridge: Sie auf irgendeiner Rheinbrücke, und Sie üben stundenlang vor sich hin.

Dieses Bild von mir hatte ich auch.

Matthias Brandt: „In letzter Zeit denke ich viel über Beethoven nach“

Bradley Cooper hat Leonard Bernstein verkörpert, John Malkovich dreht gerade als Celibidache, Angelina Jolie gibt Maria Callas. Den Schumann hat Ihnen Grönemeyer weggespielt. Welcher Künstler würde Sie reizen, welche historische Figur aus dem Bereich der Musik?

Ich bin kein wahnsinniger Freund des Biopics, ich finde es immer schöner, erfundene Figuren zu spielen, als einem realen Vorbild nachzueifern … In letzter Zeit denke ich viel über Beethoven nach und muss sagen: Dieses Phänomen, dass jemand, der nichts mehr gehört hat, solche Musik zustande gebracht hat, das finde ich total faszinierend und fände es auch darstellerisch faszinierend.

Gibt es für Sie einen Lieblingskomponisten und wenn ja, warum?

Mit Hitlisten habe ich wahnsinnige Probleme. Ich bin in Bonn aufgewachsen, Beethoven war da sehr präsent, der bedeutet mir schon sehr, sehr, sehr viel. Es gibt vielleicht gar nicht so viele Komponisten, bei denen man das Gefühl hat, dass nach denen wirklich alles anders war. Auf die Gefahr hin, mich in die Nesseln zu setzen: Wahrscheinlich hätte sich die Musik ohne Mendelssohn hinterher genauso entwickelt. Ohne Beethoven nicht.

Und andere Komponisten?

Robert Schumann ist etwas ganz anderes. Da hat man das Gefühl, das ist viel poröser. Ich finde, dass sich seine Persönlichkeit so sehr abbildet, in allem. Weil das alles so wahnsinnig arbeitet, zum Teil auch gegeneinander arbeitet. Das ist so interessant, weil es wahnsinnig psychologische Musik ist – die aber entstanden ist, bevor es die psychologischen Begriffe in dieser Form gab. Als hätte er Sigmund Freud vertont.

Können Sie den Anblick einer Oper stundenlang aushalten oder drehen Sie durch, weil Sie professionell schnell registrieren, dass gute Sänger nicht automatisch gute Schauspieler sind?

Ich finde, dass sich das ziemlich ändert und auch schon geändert hat. Es gibt ganz tolle Sänger-Darsteller. Die Herausforderungen sind andere und ebenso das Bedürfnis, auf die eine oder andere Weise zu beglaubigen, was man spielt. Wenn man so eine Empfindung hat wie die, die Sie beschreiben, würde ich, ehrlich gesagt, auch eher mit dem Regisseur ein Hühnchen rupfen als mit den Kollegen auf der Bühne.

Matthias Brandt: „Ich hatte echte Probleme mit Neuer Musik“

Ich kenne von Ihrem Vater Willy Brandt nur dieses ikonische Bild mit der Mandoline. Hat Musik bei Ihnen im Elternhaus eine Rolle gespielt? War das ein bildungsbürgerliches Einrichtungsmöbel?

Das habe ich mir selber erarbeitet. Meine Eltern waren auch keine Bildungsbürger. Was meinen Vater betrifft, der kam, so würde man heute sagen, aus prekären Verhältnissen. Der hat sich alles selber beigebracht. Meine Mutter stammte aus einer norwegischen Arbeiterfamilie, sie hat wahnsinnig gern gesungen. Der Vater war nicht so wahnsinnig musikalisch, er hat nicht so ein Verhältnis dazu gehabt, aber aus den eben genannten Gründen, nicht so sehr, weil er es nicht mochte. Weil es in seinem Leben andere Präferenzen gab.

Muss es bei Komponisten immer Liebe auf den ersten Höreindruck sein oder ist es in Ordnung, sie sich erarbeiten zu müssen?

Es gibt beides, wie bei der Literatur. Das hat ja auch mit dem gelebten Leben zu tun. Manchmal helfen aber auch persönliche Begegnungen: Ich hatte echte Probleme mit Neuer Musik, und dann bekam ich eine Anfrage von Peter Eötvös für ein Oratorium in Köln, für einen Stotterer in Köln. Und auf einmal, durch die berufliche Beschäftigung damit, öffnete sich für mich dieser Kosmos, der mir vorher verschlossen war. Das war ganz, ganz, ganz toll.

Wissen Sie noch, was Sie mit der ersten professionellen Gage gemacht haben?

Ja, weil ich Schulden bezahlen musste.

Hat‘s gepasst?

Das hat nicht gereicht. Aber gut, das waren die Theatergagen damals.

Schauspieler Matthias Brandt: „Ich bin nicht im tattoofähigen Alter“

Mit welchem Komponisten würden Sie gerne über seine Musik reden?

Mit Bach.

Nicht mit Beethoven, aus lokalpatriotischen Gründen?

Der würde mich ja nicht hören.

Fußball oder Handball, das muss ich Sie nicht fragen, also: Wohin kommt bei Ihnen das Werder-Logo als Tattoo? Jan Delay hat es, glaube ich, auf der Wade.

Ich bin nicht im tattoofähigen Alter. Aber wahrscheinlich, wäre ich jünger und in Versuchung gewesen – die Wade, ja, warum nicht?

Wann haben Sie zum letzten Mal im Konzert gebuht?

Das mache ich nicht, weil ich ja weiß, wie es ist, auf einer Bühne zu stehen. Ich würde eher dezent den Saal verlassen. Aber ich buhe keine Kollegen aus.

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Das Schauspielertypischste an Ihnen?

Ach, ich bin das schon so lange, das verwächst miteinander. Und ich denke ja auch nicht immer darüber nach, dass ich Schauspieler bin, ich habe ja nur mich.

Autor Matthias Brandt: „Ich finde alles an Volksmusik doof“

Musik, mit der man Sie jagen kann?

Mit allem, was bei uns Volksmusik heißt, tue ich mich echt schwer.

Wegen der Pappmaché-Welt, die mitklingt, oder wegen einiger politischen Assoziationen, die man haben könnte?

Das sind gewissermaßen die Nebeneffekte. Aber ich finde es scheußliche Musik, rhythmisch blöd. Ich kann nicht leiden, wie die singen. Ich finde alles daran doof.

Im Theater kann es passieren, dass es einen Abend gibt, nach dem Sie sagen: Heute habe ich die Leben von Menschen verändert und nicht zum Schlechteren. Ist das dann nur eine Art beruflicher, handwerklicher Befriedigung oder ein Gefühl von Stolz?

Ich zögere mit der Antwort, weil das einen Bereich berührt, bei dem ich mir nicht so sicher bin, ob man ihn selber so beschreiben oder kommentieren sollte. Das ist eine sehr fragile Angelegenheit und kann nur entstehen, wenn es kein bewusster Vorgang ist. Man kann darauf nicht spekulieren. In dem Moment, in dem man es zu konkret fasst, begibt man sich in eine Verfassung, das möglicherweise rekonstruieren zu wollen. Und das geht nicht. Wenn ich mit einem guten Text auf der Bühne stehe, sind die besten Abende die, an denen ich mich vorher gewissermaßen nulle. Einen Text durch mich durchlaufen lasse, wirklich fragend davorstehe und schaue: Was macht der mit mir?

Haben Sie schon mal so ein Konzert erlebt, aus dem Sie verändert herauskamen?

Ja, zum letzten Mal bei einem Konzert des Jazz-Saxophonisten Archie Shepp, ein großer Mann, mittlerweile 86 Jahre alt.

Welches Instrument würden Sie im nächsten Leben am liebsten von klein auf lernen, um Ihr Leben noch schöner zu machen, als es ohnehin schon war?

Ich würde schon sehr gerne Klavier lernen. Diesen Versuch habe ich als Kind viel zu spät unternommen, mit zwölf oder dreizehn. Das ist wirklich nicht das Alter dafür.