Hamburg. Der 75-jährige Superstar der 90er-Jahre röhrte seine Gassenhauer in die ausverkaufte Barclays Arena. Und sang ein spezielles Duett.

Die Konzerteröffnung kann nie etwas anderes als ein Statement sein. Was uns Marius Müller-Westernhagen am Freitagabend beim imposanten Arena-Comeback sagen wollte, war eindeutig dies: Es rumpelt und stampft bei mir, ich lasse meine Band von der Leine und renne mit. So, als wäre ich nicht 75, sondern 30 Jahre alt. „Alphatier“, das ironische Stück über Anführer (und ungemütliche Safari-Erlebnisse), donnerte irrsinnig selbstgewiss ins mit 11.000 Leuten gefüllte Rund der Barclays Arena.

Und die war in Hochstimmung, Freitagabend, Westernhagen, die gute, alte Zeit, oder? Konnte man so sehen. Der Künstler, vor 30 Jahren war er der erfolgreichste deutsche Sänger mit riesigen Stadionkonzerten, hat mal in einem Interview erzählt, dass es vor einiger Zeit noch immer welche gab, die bei Konzerten laut grölend „Dicke“ verlangten, ein Stück, dass der Dünner-Hering-Styler Westernhagen (aktuelles Tour-Outfit: Ein weißer Anzug) schon seit Langem nicht mehr spielt.

Marius Müller-Westernhagen: Von Bühnenschwäche bei Konzert in Hamburg nichts zu sehen

Wer heute zu Westernhagen geht, dem viel geliebten, aber auch gern gehassten Groß-Sänger, der ist mehrheitlich mit dem geborenen Düsseldorfer, Ex-Hamburger und Seit-Langem-Berliner gealtert (aber längst nicht nur, es waren auch viele Nachgeborene, gar noch als jung durchgehende Besucher da) und also in der gelassenen Phase seiner Biografie angekommen. Bei der zweiten Nummer „Ich will raus hier“ lärmten vier Gitarren, bei „Fertig“ stand schon fast die ganze Halle.

Um den, Stichwort „Alphatier“, Elefanten im Raum anzusprechen: Man kann sich grundsätzlich fragen, ob wirklich jeder Westernhagen-Song gut durch die Jahre gekommen ist, muss aber sagen: Nicht nur die absoluten Klassiker wie „Mit 18“ und „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“, die beide auf der Setlist nicht fehlten, hört man dieser Tage wieder ausgesprochen gern.

Vielleicht, weil Rock’n’Roll schon lange nicht mehr der angesagte Mainstream-Sound ist. Westernhagens olle Kamellen sind eine Erinnerung an die Zeit, als das noch anders war. „Taximann“ (erster Publikums-Chor des Abends) spielte Westernhagen ziemlich früh, und da merkte man dann gleich, dass Historismen („Er sagt kurz, Fünfmarkfünfundsechzig/Ich geb’s ihm, er tippt an seinen Hut“) der Überzeitlichkeit eines Songs nicht entgegenstehen müssen.

Noch längst nicht „Fertig“: Marius Müller-Westernhagen während seiner „75Live“-Tour auf der Bühne der Barclays Arena.
Noch längst nicht „Fertig“: Marius Müller-Westernhagen während seiner „75Live“-Tour auf der Bühne der Barclays Arena. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Und außerdem, dass Westernhagen mit seiner internationalen siebenköpfigen Band und den drei Backgroundsängern derzeit eine Power hinter sich hat, die akute Anfälle von Bühnenschwäche bei ihm sofort auffinge. Wobei man auf Westernhagens erster Tournee seit sechs Jahren diesbezügliche Ängste gar nicht erst haben muss. Der Musiker scheint auf sich zu achten und ist ziemlich fit, da könnten auch Leute mit 20 oder 30 Jahren weniger auf der Uhr durchaus mehr als ein bisschen neidisch sein.

Marius Müller-Westernhagen: 11.000 Fans kamen, um den Superstar der 90er zu sehen

Auf der Leinwand sah man Schweiß und Falten, und als Westernhagen mit 11.000 anderen „Es geht mir gut“ sang, wähnte man sich kurz im Je-oller-desto-doller-Imagevideo, war aber halt einfach nur im energetischen Boomer-Paradies.

Der Tour-Promoter habe ihm vor Beginn der Konzertreise gesagt, er solle bloß nicht die Leute zum Tanzen direkt vor der Bühne animieren, erzählte Westernhagen dem Publikum. Aha. Dann teilte der Musiker denjenigen, die es noch nicht wussten, und allen anderen auch mit, dass er 35 Jahre in Hamburg gewohnt habe. Überall habe er gespielt. Onkel Pö, in der Markthalle, „100 Mal“, Heiligengeistfeld – das prägte. In Hamburg zurück zu sein, bedeute ihm „wahnsinnig viel“.

Trotz des neuen Albums gibt Westernhagen in Hamburg auch seine Klassiker zum Besten.
Trotz des neuen Albums gibt Westernhagen in Hamburg auch seine Klassiker zum Besten. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

„Luft um zu atmen“ performte Westernhagen dann im Duett mit seiner Frau Lindiwe Suttle (kräftige Stimme), wobei der frotzelnd gedachte Smalltalk der beiden (Westernhagen: „Sie ist meine Chefin“) vorm Song eher misslang. Sie tupfte ihm vorm Abmarsch von der Bühne aber dennoch liebevoll den Schweiß vom Gesicht. Danach röhrte Westernhagen „Sexy“, den unausrottbaren Gassenhauer aus der Notgeil-Hölle. Gute Version mit „With The Power Of Soul“-Interludium.

Ohne „Freiheit“ geht es auch beim Westernhagen-Konzert in Hamburg nicht

Als letztes Stück vor den Zugaben – Westernhagen ließ sich, recht so, zweimal um weitere Songs bitten – „Wieder hier“ kam, der Heimweh-Hymnus, dachte die von den Musikern vorher bestens auf Temperatur gebrachte Barclays Arena möglicherweise kollektiv an Westernhagens Hamburger Vergangenheit. Aber das Lied ist auch über hanseatische Sentimentalität hinaus ein Kommentar zur Bühnen-Rückkehr des, sagen wir es halt: Altmeisters. Westernhagen wird die Plattitüde verkraften können.

Am Ende kam das Pathos: „Lass uns leben“, „Weil ich dich liebe“. „Freiheit“! Ohne „Freiheit“ („Ich wollte es eigentlich nicht mehr spielen, aber angesichts der gesellschaftlichen Lage tue ich es doch, wir müssen alle mehr miteinander reden“) geht es nicht, erst recht nicht auf einem Westernhagen-Konzert. Die Inbrunst, der Überschwang, bei einem Künstler und bei einem Publikum, der und das biografisch im Herbst angekommen sind, wirken angesichts altersmäßig vielleicht umso dringlicheren Aussagen gleich ganz anders.

Westernhagen-Konzert in Hamburg: Musiker bleibt Entertainer durch und durch

Man dachte sich wohl manchmal, dass Westernhagen lieber mehr neuere Stücke – vom 2022 erschienenen Album „Das eine Leben“ gab es immerhin drei Songs zu hören – gespielt hätte.

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Aber Fan-Service musste man die Berücksichtigung der Hits – „Johnny W.“ schmetterte dann noch einmal die ganze sentimental gestimmte Halle – aus der Primetime seiner Karriere auch diesmal nicht nennen. Westernhagens Vortrag war hingebungsvoll, und ein Hochgefühl war ihm sowieso die ganze Zeit über anzumerken. Hier begeisterte ein seit Jahrzehnten die Leute entertainender Mann noch einmal eine große Menschenmenge. So ist es bei seiner Tour derzeit Abend für Abend, und in Hamburg bildete man sich ein: Dieses Konzert war tatsächlich ein besonderes für ihn.