Hamburg. Ein Komponist hat eine Wettervorhersage von 1962 in Töne übersetzt. Wie das klingt? In St. Johannis Eppendorf ist „Seewetter“ zu hören.

Am 16. Februar 1962 sagt der Sender Norddeich Radio für die Deutsche Bucht „Westnordwest 9–10, Böen bis 12“ voraus. Es ist die Prognose einer Tragödie. In Hamburg werden die Deiche brechen und weite Teile der Stadt unter Wasser stehen, 315 Menschen werden sterben.

Diesen Wetterbericht hat Oliver Korte, in Hamburg geboren und aufgewachsen, für einen achtstimmigen Chor a cappella vertont. Am Sonnabend, 18. Mai, drei Tage nach der Uraufführung in München, singt der Via Nova Chor München das Stück „Seewetter“ im Rahmen des Programms „Unterwegs und anderswo“ unter der Leitung von Kerstin Behnke in St. Johannis Eppendorf.

Hamburger Abendblatt: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Wetterbericht zu vertonen?

Oliver Korte: Ein Wetterbericht ist ein Gebrauchstext und am nächsten Tag schon obsolet. Zugleich ist doch alles, was mit Wetter und Klima zu tun hat, viel größer als das Tagesgeschäft. Der Wetterbericht ist Spiegel dessen, dass wir ganz schön unsicher sind auf der Erde.

Wie vertont man eine Hamburg bedrohende Sturmflut?

Sie sind selbst Hamburger. Haben Sie einen biografischen Bezug zur Sturmflut von 1962?

Die Sturmflut ist für mich ein ikonisches Ereignis. Das Meer fasziniert mich sehr mit seiner Gewalt. Sturmfluten gehörten zur Geschichte Norddeutschlands. Immer wieder wurden ganze Landstriche weggeschwemmt. Zum Beispiel haben mich Berichte aus dem 17. Jahrhundert sehr beeindruckt. Ich habe mich dann aber für eine Sturmflut entschieden, die uns zeitlich näher ist.

Wie sind Sie beim Komponieren vorgegangen?

Stellen Sie sich eine Wasseroberfläche vor. Sie oszilliert ständig. Je mehr es stürmt, desto stärker. Wenn Sie am Strand stehen, sehen Sie das Glitzern und diese einerseits glatte und andererseits bewegte Fläche. So übersetze ich das auch in Klang.

Wie muss ich mir das vorstellen? Der Sopran singt Liegetöne, und darunter bewegen sich die unteren Stimmen?

So könnte das sein. Es geht weniger um konkrete Rhythmen oder Melodien, sondern um Texturen. Ich habe Gluckergeräusche vorgeschrieben, die sollen die Leute im Mundraum erzeugen. Da ist kein fester Rhythmus vorgegeben. Man hört einfach, dass da etwas blubbert. An einer anderen Stelle machen die Männer nur gemorste Zischlaute. Oder stellen Sie sich Regen vor. Jeder weiß, wie es klingt, wenn Regen beginnt oder aufhört. Aber niemand weiß, wann der nächste Tropfen aufs Dach fällt.

Mehr Kultur

Wie notieren Sie so etwas?

Ich schreibe in normalen Notensystemen und Tonhöhen. Aber Geräusche haben ja oft keine festgelegten Tonhöhe. Da sehen die Notenköpfchen etwas anders aus. Das erkläre ich in einer Legende. Und freie Rhythmen sind auch frei notiert, sozusagen statistisch verteilt. Geräusche können grob und hässlich oder fein und artikuliert sein. Das präzise zu erarbeiten ist genauso viel Arbeit wie die Arbeit an Tönen.

„Unterwegs und anderswo“Sa 18.5., 18.00, St. Johannis Eppendorf. Eintritt frei; www.via-nova-chor.de