Hamburg. Der Gambist und Dirigent macht beim Internationalen Musikfest Hamburg eine Zeitreise durch das dramatische 17. Jahrhundert.
Klangmuster steigen auf im Großen Saal der Elbphilharmonie. Unmöglich zu orten, woher welcher Faden in dem tönenden Gewebe stammt, aus welcher Kehle der zehn Sängerinnen und Sänger der Capella Reial de Catalunya, die da im Kreis stehen und ihre Stimmen zu immer neuen Mustern verflechten. Kryštof Harants Motette „Qui confidunt in Domino“ ist ein meditativ bewegtes Glaubensbekenntnis, geschrieben Ende des 16. Jahrhunderts, der Dreißigjährige Krieg war nicht mehr fern. Der Epoche zwischen 1618 und 1713 hat der Gambist Jordi Savall sein Programm „Krieg und Frieden“ gewidmet, mit dem er beim Internationalen Musikfest zu Gast ist. Nicht zufällig lautet dessen Motto in diesem Jahr genauso.
Elbphilharmonie: Jordi Savall präsentiert Zeitreise zum Thema „Krieg und Frieden“
Die Welt um uns zurrt sich immer weiter fest in der zynischen Logik des Kriegs. Kaum vorstellbar, dass es eine Zeit gegeben haben soll, bevor die unerträglichen Bilder unsere Komfortzone fluteten, eine Zeit, in der der 24. Februar oder der 7. Oktober einfach nur Kalendertage waren. Savall nun, Grandseigneur der Originalklangszene, Humanist und ein Denker weit über seine Disziplin hinaus, setzt die heutigen monströsen Dimensionen in Perspektive: Woher kommt das Phänomen Krieg? Was hat ihn bedingt und gefördert? In einem Programmheft-Essay beleuchtet Savall die historischen Zusammenhänge von Gesellschaftsstruktur, medialer Öffentlichkeit und Machtausübung.
Vor allem aber bringt er Wegmarken der Geschichte zum Klingen. Übrigens nicht nur der europäischen Geschichte. „1618 – Die Osmanen akzeptieren die Wiedereroberung des Iran durch Schah Abbas I. der Große“, ist der erste Abschnitt des Programms überschrieben. 1618? Da war also noch etwas anderes als der Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs? Erwischt.
Savall denkt in seinem Programm Morgen- und Abendland zusammen
Das erste Werk des Abends stammt von Dimitrie Cantemir. Der war ein Wandler zwischen den Sphären: Gebürtiger Moldauer, diente er am russischen Zarenhof und komponierte in jenen Arabesken, Harmonien und rhythmischen Wendungen, die für westliche Ohren wie eine Fremdsprache klingen. Sein Stück beginnt mit der Flöte Kaval, der Kurzhalslaute Oud und zwei verschiedenen Saiteninstrumenten. Die Musiker heben das Zeitempfinden auf, wenn sie um einen Ton herum mäandern, improvisieren und so bei den Zuhörenden einen Echoraum schaffen für das Leid, das sich hinter dem nüchternen Begriff „Wiedereroberung“ verbirgt. Erst allmählich bildet sich aus den Klangfiguren, Ornamenten und Seufzern eine Melodie heraus, bevor dann die Trommel dazukommt und sich das Ensemble in Marsch setzt.
Savall macht schon in der Aufstellung deutlich, dass er das Morgenland mitdenkt: Ganz vorne, auf einem Teppich, sitzen Nedyalko Nedyalkov, Yurdal Tokcan, Hakan Güngör und Dimitri Psonis mit den orientalischen Instrumenten. Um sie herum gruppieren sich das Renaissance-Ensemble Hespèrion XXI, das Barockorchester Le Concert des Nations und die Capella Reial.
Die Sängerinnen und Sänger der Capella Reial: souverän durch vertrackte Taktwechsel
Visuelle Opulenz gehört zu Savalls Projekten dazu. Aber sie ist eben nicht pure Dekoration, sondern macht die stilistische Vielfalt augenfällig. Und hilft im Idealfall, Ohren und Herzen zu öffnen für den Klang eines benachbarten Kulturkreises, der mit unserem durch eine durchaus blutige Geschichte verbunden ist. Bei Savall sind „die Türken“, wie die östlichen Völker damals vereinfachend genannt wurden, kein kollektives Schreckgespenst. Orient und Okzident berühren sich, wenn der Schlagwerker David Mayoral oder der Organist Michael Behringer zum nächsten Stück überleiten.
Wie oft mögen die Menschen damals gedacht und gehofft haben, nun sei der Krieg vorbei. Aber Machtverschiebungen wie die Krönung Ferdinands II. zum König von Böhmen 1627 verlagerten die Konflikte bloß. „Da pacem Domine“ (Gib Frieden, Herr), fleht Heinrich Schütz, und La Capella Reial mit ihrer glasklaren Artikulation und ihren farbigen Timbres gestaltet die filigranen Strukturen zum Anfassen plastisch. Durch die Stromschnellen von Schütz‘ vielen Taktwechseln steuert die Gruppe souverän.
Savalls Zeichengebung reicht für die komplexen Stücke nicht immer aus
Wie üblich moderiert Savall von der Gambe aus eher, als dass er dirigieren würde. Seine weichen Gesten reichen an diesem Abend aber nicht ganz aus. Das Repertoire des 17. Jahrhunderts ist von der Polyfonie her höchst anspruchsvoll. Dazu kommen die Entfernungen auf der Bühne. Es klappert ganz schön oft. Den Anfang der „Paduan“ von Samuel Scheidt aus dem Jahre 1621 spielt der Chef auf seiner Soprangambe zu schnell und stiftet damit hörbare Verwirrung. Da niemand das Kommando übernimmt, dauert es, bis man sich gefunden hat, bis all die kleinen Häkelschlaufen ineinandergreifen und der zarte Puls von Scheidts zutiefst berührender instrumentaler Klage fühlbar wird.
An anderen Stellen ist der Konzertmeister Manfredo Kraemer um so präsenter mit seiner virtuosen Energie. Die Schlachtmusiken mit ihren ruppigen Staccati rappeln beängstigend lautmalerisch, die Bassgruppe schlägt mit dem Holz der Bögen auf die Saiten oder lässt die Pizzicati klatschen.
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Savall wäre nicht Savall, käme er mit seiner Zeitreise nicht in der Gegenwart an. Zum Schluss, nach Charpentier, Händel und einer anonymen katalanischen Klage um die Schlacht von Barcelona 1714, erklingt „Da pacem Domine“ von Arvo Pärt. Jeder Schlag, den die Große Trommel dem Chor entgegensetzt, klingt nach diesen pausenlosen eineinhalb Stunden wie ein verzweifelter Appell an die Menschheit. Ohne uns gäbe es keinen Krieg. Ohne uns gibt es keinen Frieden.