Hamburg. Jordi Savall und „Les Concert des Nations“ klangen viel zu selten geschmeidig und elegant. Eine Sketcheinlage war stumpf unlustig.
Vielleicht ist manches von Felix Mendelssohn Bartholdys Musik, so genial, stimmungsvoll und eingängig sie immer wieder auch ist, einfach zu nett, um in ihr etwas zu finden, was dort nicht ist. Oft sonnig, heiter und gelassen ist sie, reizend schön, hat aber sehr wenige höllenschlundtiefe Abgründe, dafür umso mehr Empathie mit der Welt, der Natur und der Menschlichkeit an sich. Und vielleicht hätte Jordi Savall – ansonsten ist der 82 Jahre alte Universal-Musikgeschichtsgelehrte ein solider Garant für intellektuell und stilistisch Hocheingeflogenes – beim Entwickeln dieses Konzert-Programms das eine oder andere doch lieber anders regeln sollen.
Elbphilharmonie: Savalls „Sommernachtstraum“ war nicht durchgängig traumhaft
„Seine“ Beethoven-Sinfonien mit seiner Originalklang-Spezialtruppe „Les Concert des Nations“ in der Laeiszhalle waren eine revolutionäre, hochdramatische Erleuchtung. „Sein“ Mendelssohn in der Elbphilharmonie dagegen hatte auch einige erstaunliche handwerkliche Problemzonen, wo man sie von jemandem wie Savall längst nicht mehr vermutet hätte. Angefangen bei der Orchester-Unwucht, vor allem während der „Italienischen“ Symphonie im ersten Teil, und endend bei der erschütternd amateurhaften Textaufsager-Truppe in der Spezialfassung von Shakespeares „Sommernachtstraum“, für den der blutjunge Mendelssohn seinerzeit viel mehr liebreizende Schauspielmusik geschrieben hatte, als normalerweise in der Best-of-Suite gespielt wird.
Die „Pyramus und Thisbe“-Sketcheinlage derart stumpf unlustig und noch mit dem Textbuch in den Händen, als wäre man gegen seinen Willen im Abendkurs „Schauspiel 1“ gefangen, das muss man erst mal schaffen. Oder sollte es so lieber lassen.
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Sicher ist es reizvoll und relevant, ein knapp 200 Jahre altes Stück auf historisch passenderen Instrumenten zu spielen – Naturhörner, Naturtrompeten, schmaler mensurierte Flöten, Klarinetten, Oboen, Fagotte, die, mit Verlaub: furztrockenen Pauken, die Streicher weitestgehend vibratofrei. Doch dann sollte immer noch – und erst recht – die Balance der Stimmen stimmen, damit die Feinheiten nicht gegeneinander verrutschen und man manche der an sich so bildschönen Holzbläsersätze im Gesamtklangbild mit den Ohren suchen muss wie die Nadel im Heuhaufen. Geschmeidig und elegant klang diese eher rustikale „Italienische“ jedenfalls zu selten, um diesen historischen Umgang, praktisch unscharf umgesetzt, für dringend notwendig und erhellend zu halten.
Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter baute Überlänge-Ängste ab
Allzu groß waren die beim Proben eingefügten Textstriche in der Schlegel-Übersetzung vom Shakespeare letztlich nicht gewesen, die Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter zu Konzertbeginn angekündigt hatte, um Überlänge-Ängste abzubauen. Die Bühnengröße und einige Saaletagen wurden clever genutzt, um etwas Theaterstimmung in diese „Sommernachstraum“-Version zu bekommen.
Einige Kostümandeutungen für das sprechende Ensemble, um das Plot-Personal zu charakterisieren, halfen dabei. Dass der Elfenchor (toll: „La Capella Nacional de Catalunya“ mit den Solistinnen Flore van Meerssche und Diana Haller) bei seinen leider nur zwei, dafür aber wirklich zauberhaften Auftritten durch die Bühnentüren kurz ins Bild huschte und tatsächlich elfengleich durch die Orchesterreihen wuselte, bevor hinreißend gesungen wurde, machte diese Szenen zu kleinen, fein ausgereizten Glücksmomenten.
Elbphilharmonie: Als Rarität kam eine Ophilkleide zum Einsatz
Toll auch, dass Savall die Orchesterbesetzung um eine Ophilkleide – ein vage fagottförmiges Klappenhorn – bereichert hatte, eine Rarität, die ansonsten kaum mal aus dem Archiv geholt wird. Diese Art liebevoll kundiger Detailgenauigkeit wäre auch auf anderen Ebenen dieser unausgeglichenen Vorstellung schön gewesen. Die vier Naturhörner im Notturno-Einschub waren interessant anzuhören, aber nicht fehlerfrei; der Publikumsliebling Hochzeitsmarsch rumpelte im Blech mehr, als dass er schritt. „Jedes Ding hat seine Zeit“, wusste schon Shakespeare. Dieses hatte seine noch nicht ganz erreicht.
Nächstes Savall-Konzert: 10.5.2024 „Krieg und Frieden“ vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Frieden von Aachen (1618–1748), Werke aus Orient und Okzident von Schütz, Scheidt, Lully, Händel, Pärt u.a. Elbphilharmonie, Gr. Saal