Hamburg. Mit den Symphonikern Hamburg und Sylvain Cambreling bringt die Pianistin das Publikum zum Toben. Standing Ovations gibt es sowieso.

Selten, sehr selten wird ein Konzert lange vor dem ersten Ton zum Ereignis. An diesem Abend summt es im Eingangsbereich der Laeiszhalle. Damen mit ausladenden Blumensträußen suchen einander, das Stimmengewirr ist vielsprachiger, dichter und ein paar Stufen heller als sonst. So klingt Erwartung.

Martha Argerich ist in der Stadt, international gefeierte Pianistin, demnächst 83 Jahre alt und eine wandelnde Legende. Ihr eilt der Ruf voraus, Auftritte gerne mal kurzfristig abzusagen, bei den Symphonikern Hamburg aber ist sie bislang stets verlässlich erschienen. Keine Sorge, beruhigt der Intendant Daniel Kühnel die Anwesenden, als er vor das versammelte Orchester tritt, er habe keine schlechten Nachrichten zu überbringen. Und stellt kurz das Hors d’oeuvre des Abends vor, „Chambres d’à côté“ aus dem Jahre 2010 aus der Feder des Belgiers Philippe Boesmans (1936-2022).

Laeiszhalle Hamburg: Sensationelles Konzert! Ein Ereignis namens Martha Argerich

Der hat einfach mal aufgeschrieben, was ihm an Klängen durch den Kopf rauschte, wenn er Geräusche aus den Nachbarwohnungen hörte. Allzu konkret wird er nicht, aber der Titel ist ein assoziativer Wegweiser durch diese gefällige, zugewandte Musik. Da weht der Wind durch die Flageolett-Töne der Geigen, im Schlagzeug knallt eine Tür oder es erklingen Fetzen einer Schallplattenaufnahme in wagnerweichem Dur. Boesmans muss seine Nachbarn gemocht haben. Bohrmaschine, Wasserrohrbruch und Techno-Beats zur Unzeit bleiben jedenfalls aus. Durch die Glasdecke scheint das Abendlicht, die Menschen im knallvollen Saal lassen sich merklich berühren von Boesmans‘ Klangzauber.

Und dann steigt die Temperatur um einige Grad an. Auftritt La Martha. Den Jubel im Publikum nimmt sie freundlich-gelassen entgegen. Setzt sich an den Steinway, und fast im selben Moment gibt der Chefdirigent Sylvain Cambreling den Einsatz zu Ravels Klavierkonzert G-Dur. Vom ersten – an diesem Abend etwas unterbelichteten – Peitschenknall an entfalten Rhythmus und federleicht wirkende Virtuosität einen regelrechten Sog.

Das Publikum will La Martha nicht gehen lassen. Aber sie kommt ja wieder

Argerich lässt sich nicht lumpen. Sie trommelt gleichsam mit den Schlagwerkern, die Läufe perlen wie Champagner, den Broadway-Anklängen verleiht sie Groove und Frechheit. Artikuliert und phrasiert verblüffend mühelos. Sie versenkt sich in die Stille und Nachdenklichkeit des langsamen Satzes, einer hinreißenden Hommage an Mozart. Und wo die Gesangslinien der Bläser im Vordergrund stehen, umspielt die Solistin sie aufmerksam und diskret – eine bekennende Kammermusikerin eben. Wenn die Abstimmung mal hakt, fängt sie das leichthin auf.

Rasanter Schluss, entfesselter Applaus, Standing Ovations, eine freundlich-entrückt wirkende Argerich. Arme voll Blumen bekommt sie, schenkt ihrem Publikum zwei Zugaben und etliche Vorhänge. Die Menschen wollen sie nicht gehen lassen. Aber sie kommt ja wieder; im Juni steigt das Martha Argerich Festival der Symphoniker.

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Die spielen zum Schluss die Suite aus dem Ballett „Romeo und Julia“ von Prokofjew. Robuste, bildstarke Musik mit ordentlich Blech und Schlagwerk. Cambreling dirigiert sie kompromisslos im Ausdruck. Die Kontraste und die Farben hat er sorgfältig herausgearbeitet. Bei den rasanten Stakkati fällt hin und wieder ein Hobelspan. Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Ein rauschender Abend.