Hamburg. Ein Reiseführer mit dem Titel „Die Elbchaussee“, eine „Blankenese“-Saga, ein „Roman aus dem alten Hamburg“: Lokalpatrioten, lest das.

Der Name Karl Gottlob Küttner sagt Ihnen nichts? Damit sind Sie vermutlich nicht allein. Der Mann, sagt Google, war Lehrer und Reiseschriftssteller. Im ausgehenden 18. Jahrhundert sah und erlebte er etliche europäische Länder. Küttner hatte Vergleichswerte und kannte die große Kaufmannsstadt an der Elbe recht gut. Ein Landhaus sei dem Bewohner Hamburgs zum Bedürfnis geworden; ihre Zahl vermehre sich gleichzeitig mit dem Luxus und Reichtum „des Ganzen“, schrieb der weitgereiste Mann, und weiter: „Ich kenne, ohne Ausnahme, keine Stadt in Europa, die in einem so kleinen Umfange diese ungeheure Menge von Land- und Gartenhäusern hätte“.

Und von der Existenz der Edelschuppen, die vor ein paar 100 Jahren mit Blick auf den Fluss gebaut wurden, wissen wir natürlich. Hamburgs erste Adresse ist die Elbchaussee, und da stehen sie, die gigantischen Villen, immer noch zwischen all den schönen Grünanlagen, Jenischpark, Hirschpark, Baurs Park, Hessepark und so weiter. Geben wir es ehrlich zu: So viele Schauwerte hat Hamburg im Metropolenvergleich nicht. Die Elbvororte-Wellness, die Katrin Schmersahl in ihrem Buch „Elbblicke“ vor knapp einem Jahrzehnt bilderreich und mit historischer Tiefe beschrieben hat, ist einer der großen Pluspunkte der Stadt. Parkanlagen, Architektur und Elbherrlichkeit sind jetzt, wo die Freiluftsaison beginnt, wieder auf dem Zerstreuungszettel vieler Menschen.

Neue Bücher für Hamburg: „Die Elbchaussee“ und „Blankenese: Zwei Familien“

Ist also schon sinnvoll, dass der Hamburger Ellert & Richter Verlag den literarischen Appetizer für Elb-Spaziergänge nun noch einmal herausbringt: Die 2024er-Version des Reiseführers durch den Hamburger Westen trägt den programmatischen Titel „Die Elbchaussee“ und bietet immer noch, nun ja, mithilfe der üppigen Architektur wunderbare Einblicke in die Welt des Geldadels. Der Schotter der Kaufmannsdynastien ist der Grund, auf dem Blankenese gebaut ist (oder so ähnlich, es war auch mal ein Fischerdorf, heißt es ja immer), und deswegen endet das stadtlandschaftlich so wohlgefällige Kompendium genau dort, mit einem Blick auf das spätabendliche Treppenviertel.

Das Buchcover von Katrin Schmersahls „Die Elbchaussee“, Ellert & Richter Verlag, 336 S., 25 Euro
Das Buchcover von Katrin Schmersahls „Die Elbchaussee“, Ellert & Richter Verlag, 336 S., 25 Euro © Ellert & Richter Verlag | Ellert & Richter Verlag

„Blankenese: Zwei Familien“ heißt die Saga, die die Kölnerin Michaela Grünig derzeit schreibt. Herrlich! Allerbeste Unterhaltungsliteratur, das wissen wir vom ersten Band, den die Autorin seinerzeit am Ort des Geschehens vorstellte: in einer Buchhandlung in Blankenese. Die Fortsetzung gibt‘s jetzt, Untertitel: „Schwere Entscheidungen“. Wir wollen nun nicht den prallen Stoff auf seine eventuelle Schmonzettenhaftigkeit hin untersuchen. Die Treppenviertel-Prinzessin (ja, Blankenese war nicht immer nobel) und der Reederei-Spross – Top-Romanzen-Material war das in Band eins.

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Die Reeder-Familie Casparius taucht nun wieder auf, als die Handlung im Kriegsjahr 1939 einsetzt. Grünigs Saga gehört auch in die Abteilung „Historischer Roman“. Nach der Zwischenkriegszeit, in der sich das Nazi-Desaster ankündigte, ist man nun mitten im dunklen Jahrzwölft.

Neue Bücher für das Hamburgensien-Fach im Regal: Lest das, Lokalpatrioten

Ihre Heldin Sonja Casparius ist ein Kind der Zeit, aber nicht von dieser verdorben. Nur die Väter der Freundinnen sind bei der SS und dementsprechend verloren. Ein Karriere-Nazi verliebt sich in Sonja, aber, und das festigt natürlich Sonjas Rolle als Sympathieträgerin, sie fühlt sich eher zu einem französischen Zwangsarbeiter hingezogen. Die Handlung des temporeichen Romans erstreckt sich bis in die Nachkriegsjahre, in denen der mit einem Kindertransport aus Nazi-Hamburg entkommenen Jude Kurt in die Stadt seiner Geburt zurückkommt. Auch der Entnazifizierungprozess und die „Kinder von Blankenese“ spielen hier eine Rolle, und übertrieben romantisch ist in einem Buch, das einen historisch akkuraten Blick auf eine Epoche voller Verbrechen und Brüche wirft, die vor dem schönen Blankenese nicht Halt machte, insgesamt natürlich gar nichts.

Das Buchcover von Carl Reinhardts „Der fünfte Mai. Roman aus dem alten Hamburg“, Ellert & Richter, 592 S., 25 Euro.
Das Buchcover von Carl Reinhardts „Der fünfte Mai. Roman aus dem alten Hamburg“, Ellert & Richter, 592 S., 25 Euro. © Ellert & Richter Verlag | Ellert & Richter Verlag

Der Reiseschriftsteller Küttner, siehe oben, war übrigens Sachse. So wie der Maler und Schriftsteller Carl Reinhardt (1818-1877), der Autor von einer Art Klassiker im Fach der Hamburgensien, dem Werk „Der fünfte Mai. Roman aus dem alten Hamburg“. Es spielt Mitte des 19. Jahrhunderts und schildert dabei zum Beispiel Landpartien in Dänemark. Nämlich in Altona, klar. Reinhardt lebte mal ein paar Jahre in Hamburg, es war eine unerwiderte Liebe. Er schenkte der Stadt dann dennoch dieses pralle Buch, das Ellert & Richter nun einmal mehr veröffentlicht.

Es ist ein Buch für Hamburg und seine Lokalpatrioten, die in lebendigen Szenen erfahren wollen, wie es hier früher so war: im Hafen, in Neumühlen, am Fischmarkt und in Finkenwerder. Hier treten Senatoren auf und kleine Leute, es gibt Hochwasser und einen großen Brand, den von 1842, am „Fünften Mai“. Groschenliteratur, die unbezahlbar ist: ein Geschichtsbuch, das unterhält. Und zeigt, das Hamburg viel mehr ist als Blankenese, obwohl dort die Stadt fast endet.

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