Hamburg. Eine 400-seitige Graphic Novel über die Lebenswege von Karlheinz Stockhausen und ein handlicher Comic über Johannes Brahms.
Warum eigentlich erst jetzt? So muss die erste Frage lauten, die sich nach knapp 400 Seiten Comic-Lektüre über Karlheinz Stockhausen sofort stellt. Was Beethovens und Wagners Lebensläufe und Egos an Höhen, Tiefen, Aufregung, Selbsterfindung, Revolutionswillen und Selbstbegeisterung hergaben, das kann auch dieser deutsche Komponist aus der Mitte des 20. Jahrhunderts jederzeit liefern, und all das auch noch lässig links überholen.
Stockhausen, 1928 geboren, wuchs während der NS-Zeit auf, wurde in der Nachkriegszeit vom Eigenbrötler zum Quertöner und entwickelte neben seiner Weltkarriere mit bahnbrechenden Kompositionen auch eine Art philosophisch-musikalische Über-Religion, die es flott nicht mehr auf diesem Planeten hielt. Dieser Stockhausen schuf schon früh eine Welt für sich, die Beatles bewunderten und verewigten ihn dafür auf ihrem „Sgt. Pepper’s“-Cover.
Karlheinz Stockhausen: Thomas von Steinaecker immer ein Fan
Einen kleinen Jungen aus einem kleinen Örtchen in der Oberpfalz erwischte diese Begeisterung 1989, als ihm sein Vater eine LP mit dem Electronica-Klassiker „Gesang der Jünglinge“ schenkte. Seine Kumpels in der Schule hörten handelsübliche Popmusik, er aber bog musikgeschmacklich ganz anders ab. Der kleine Stockhausen-Fan von damals ist mittlerweile der Autor und Filmemacher Thomas von Steinaecker, er hat für den Hamburger Carlsen Verlag mit dem Illustrator David von Bassewitz ein abenteuerlich ehrgeiziges Projekt mit deutlichen autobiographischen Zügen gewagt – und gewonnen.
„Stockhausen, der Mann der vom Sirius kam“, ist mehr als eine mit Zitaten gewürzte Biografie-Bebilderung, mehr als die x-te Heiligsprechung eines Ausnahmekünstlers. Sie ist filmisch und expressiv fantasiestark angelegt, hat ein feines Gespür und die Ausdrucksmöglichkeiten, um sich der wilden Schönheit dieser Musik nähern zu können, und damit ihrem Eigensinn. Sie zeigt Stockhausen als selbsterfundenen Superhelden in seinem sehr eigenen Universum aus Tönen.
Steinaecker schreckt vor Herausforderungen nicht zurück
Derart abstrakte Musik in Bilder zu bringen, das ist, wie über Architektur zu tanzen. Muss man können, können aber nur wenige. Dass Steinaecker vor großen Herausforderungen nicht zurückschreckt, zeigt auch das Zentralgestirn-Thema seines Dokumentarfilms „Radical Dreamer“ über den nicht direkt kleingeistigen Filmregisseur Werner Herzog, der kürzlich in die Kinos kam.
Die finsteren, gedankenbeengten Jugendjahre, die bescheidenen Anfänge als Schulmusik-Azubi, das Entdecken neuer Klang-Welten in der elektronischen Musik, der Hype um den späteren „Papa Techno“ 1970 bei der Weltausstellung in Osaka, das private Abdriften in bedenkliche Grenzregionen der Wirklichkeit – Steinaecker schildert all das mit einer interessanten, gleichermaßen überwältigt staunenden Mischung aus Verständnis und Unverständnis, aus großer, eigener Nähe, aber nicht unterwürfig.
Graphic Novel arbeitet mit Tempi und Temperaturen
Ähnlich wie Stockhausens Werkphasen, die mit unterschiedlichen Kompositionswerkzeugen und Ideologien umgehen, so arbeitet auch diese Graphic Novel mit unterschiedlichen Tempi und Temperaturen. Karriere-Episoden werden erwähnt, der eine oder andere Tonsetzer-Kollege kommt ins Bild und verschwindet nach seiner Stichwortabgabe wieder. Schlüsselwerke werden so geschickt angedeutet, dass es sofort die Lust darauf weckt, mit dieser Musik, die es kaum noch in Konzertprogramme schafft, in den Verständnis-Clinch zu gehen.
Autor und Illustrator haben jahrelang an dieser Herzensangelegenheit gearbeitet und sich dafür wohl auch selbst gründlich ausgebeutet. Dieser Band, auf den alle Beteiligten stolz sein können, soll allerdings erst der Anfang sein. Er endet 1989 und ist also noch weit vom Hamburger Skandal entfernt, den Stockhausen beim Musikfest 2001 mit Äußerungen über die 9/11-Anschläge auslöste. Ebenso vom irdischen Ende Stockhausens im Dezember 2007. Eine Fortsetzung ist in Arbeit, vier, fünf Jahre werde es aber wohl noch dauern, schätzt Steinaecker. An seinem Opern-Zyklus „Licht“, gegen den Wagners „Ring“ nur eine niedliche Fingerübung ist, hat Stockhausen jahrzehntelang gearbeitet, was sind da ein paar posthume Jahre Wartezeit, wenn schon dieses Künstler-Leben selbst ein unendliches „work in progress“-Projekt war.
Johannes Brahms: Comic zeigt Biografie auf
Es geht aber auch klassisch handlicher: Zum 125. Todestag des gebürtigen Hamburgers Johannes Brahms ist in Kiel ein Comic entstanden, der kurz und knapp mehrere Erzählebenen in dessen Leben aufzeichnet. Sieben Zeichnerinnen und Zeichner, alle mit unverstelltem Blick auf Biografie und Werk, haben sich Brahms‘ Charakter und seiner Musik angenähert.
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Die Freundschaft zu Robert Schumann, die noch engere Bindung an dessen Frau Clara, Erfolge, Reinfälle, einsame Momente, knorrige Launen – der Schnelldurchlauf funktioniert trotz oder vielleicht auch wegen der unterschiedlichen ästhetischen Handschriften als Einstiegslektüre erstaunlich gut.
„Stockhausen. Der Mann, der vom Sirius kam“ Thomas von Steinaecker (Autor), David von Bassewitz (Illustrator). Carlsen, 392 S., 44 Euro. „Johannes Brahms“ (pure fruit #25), Tim Eckhorst (Szenario). 68 S., Infos über www.purefruit-magazin.de, bestellbar über www.jajaverlag.de, digital lesbar über www.mycomics.de