Hamburg. Das Osterfestival widmet sich ausführlich der Lagunenstadt, die einst das Zentrum der europäischen Musikwelt war.
„Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig“ schrieb vor gut 130 Jahren Friedrich Nietzsche. Eine Steilvorlage für Barbara Lebitsch, künstlerische Betriebsdirektorin der Elbphilharmonie, die das an diesem Mittwoch startende Osterfestival zum Thema Venedig verantwortet.
„Die große Zeit Venedigs als Musikmetropole ist vorbei“, sagt die Wienerin beim Gespräch in den Alsterarkaden. Auch hier plätschert das Wasser sanft, drängen Touristen mit Tagesrucksäcken vorbei, sogar ein paar Tauben gurren. Fast wie in Venedig. „Aber wenn man sich mit der Geschichte der Stadt beschäftigt, kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus.“
Surround Sound kommt im Grunde aus Venedig
Tatsächlich war Venedig mehr als 400 Jahre lang ein Motor musikalischer Entwicklungen. Hier öffnete 1637 das weltweit erste öffentlich zugängliche Opernhaus, in Glanzzeiten waren es bis zu 20 Musiktheater, die um die Gunst der Besucher buhlten. Auch der Notendruck und der Bau von Saiteninstrumenten wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Venedig entweder erfunden oder zumindest große Schritte vorangebracht. Ein Meilenstein mit europäischer Wirkung war bereits 1403 die Gründung einer Singschule im Markusdom, zu deren Leitern unter anderem Claudio Monteverdi, einer der Erfinder der Oper, gehörte.
Die Idee, den Chor zu teilen und auf unterschiedlichen Emporen zu platzieren, erzeugte einen Raumklangeffekt, der vermutlich dem heutigen Surround Sound nahe kam. Und dann waren da auch noch die Waisenheime für Mädchen, in denen Chöre und Orchester etwa von Antonio Vivaldi unterrichtet wurden und auf einem so hohen Niveau musizierten, dass venezianische Eltern alles daran setzten, ihre Kinder dort anzumelden.
Produktionen speziell für die Elbphilharmonie
Das Osterfestival will nun viele dieser Aspekte beleuchten und setzt dabei auf Produktionen, die größtenteils speziell für die Elbphilharmonie entstanden sind. „Wir bilden 500 Jahre venezianische Musikgeschichte ab, aber nicht mit Projekten von der Stange“, sagt Barbara Lebitsch. Vielmehr hätten sich die Künstler begeistert darauf eingelassen, mit der Architektur und Akustik des Großen Saals zu arbeiten, um etwa die im Markusdom erfundene Mehrchörigkeit nach Hamburg zu bringen.
Es gibt eine Aufführung der Monteverdi-Oper „Ulisse“ (20.4.), aber auch Vivaldis Cellosonaten (21.4.) und Renaissance-Musik von heute kaum noch bekannten Komponisten wie Uccellini und Rossi (20.4.).
Um in den Rhythmus der Stadt einzutauchen, ist Barbara Lebitsch im vergangenen Herbst noch einmal nach Venedig gereist, hat sich durch die Straßen treiben lassen, die Atmosphäre aufgesogen. Die Gondoliere gehört, die – so findet sie – immer noch einen authentischen Kern haben, auch wenn sie natürlich eine von vielen Touristenattraktionen sind.
Ihre Lieder stehen beim Auftakt im Kleinen Saal am Mittwoch auf dem Programm. Weiter geht es unter anderem mit einem Abend (19.4.), der den Bogen von den Madrigalen des 16. Jahrhunderts zu den Avantgarde-Klängen eines Luigi Nono (1924-1990) spannt.
Auch Musik von Bach, Wagner und Strawinsky
Mit Liedern aus dem vor 500 Jahren in Venedig errichteten jüdischen Getto (21.4.). Mit Musik von Komponisten wie Bach, Wagner und Strawinsky, für die Venedig eine wichtige Inspirationsquelle war (23.4.). Eine vielschichtige „Klangreise“ verspricht „Le Encantadas“ von Olga Neuwirth, eine Komposition, bei der simulierte Glockenklänge auf die Geräusche der Lagune treffen.
Und dann ist da noch der Star des Festivals, Jordi Savall, schon 2017 im Großen Saal zu Gast. Der katalanische Gambenspieler will am 22. April gemeinsam mit zahlreichen Ensembles kulturelle Querverbindungen zwischen Europa und dem Orient aufzeigen.
Natürlich ist das Festival auch ohne weitere große Namen und trotz des anspruchsvollen Programms ausverkauft – der Elbphilharmonie-Faktor. „Für uns ist es ein Geschenk“, sagt Barbara Lebitsch. „Aber es ändert nichts am Qualitätsanspruch.“ Sie jedenfalls fühle sich dafür verantwortlich, ein Programm auf höchstem Niveau anzubieten. „Das Publikum spürt intuitiv, welche musikalische Qualität von der Bühne kommt.“
Mittelmaß sei trotz Ausverkauft-Garantie keine Option. Nach mehr als zwei Jahren Konzertprogramm erlebe auch sie persönlich immer wieder magische Abende, an denen es sie einfach „packe“. Zuletzt bei der Johannes-Passion, dirigiert von Sir Simon Rattle. „Ich saß da und hatte zwei Stunden lang durchgehend eine Gänsehaut.“
Von den Venedig-Konzerten wird sie so viele wie möglich besuchen, Lohn für anderthalb Jahre Planung dieses inzwischen dritten Osterfestivals in der Elbphilharmonie. Letztlich gilt für sie in dieser Hinsicht ein weiteres Nietzsche-Zitat: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“