Hamburg. Wie der gefeierte Sänger sich seine Kräfte einteilt und mit Opern-Stress umgeht. Im April kommt er in die Elbphilharmonie.
Joachim Mischke
Wächst man in Rohrbach an der Gölsen irgendwo in Oberösterreich auf, ist der Weg zu den Wagner-Festspielen nach Bayreuth noch ziemlich weit. Dass die Kühe im heimischen Stall aber schon damals (vom Tierarzt) nach Wagner-Heldinnen benannt wurden, hätte Andreas Schager früh zu denken geben können.
Aus ihm wurde schnell ein erfolgreicher Tenor – allerdings spezialisiert vor allem auf Operette und Leichteres. Heldentenor und Wagner weltweit kam erst später. Inzwischen ist Schager an allen großen Häusern der Musikwelt auf alle großen Wagner-Partien seiner Stimmlage abonniert. Das ist toll, kann aber auch schlauchen. Deswegen drehte sich das Gespräch mit ihm um das Leitmotiv „Kraft“. Er berichtete außerdem, welche Superkraft er gern hätte.
Hamburger Abendblatt: Bei den Bayreuther Festspielen haben Sie im letzten Sommer außer Wotan so ziemlich alles weg gesungen. Wie Kräfte verbrennend ist das, und wie erholen Sie sich davon?
Andreas Schager: Wenn man da auf der Bühne steht und die gesamte Energie so einer Vorstellung in sich aufsaugen kann, einschließlich der des Publikums, dann gibt es auch wahnsinnig viel Kraft. Nach einer guten Vorstellung habe ich immer das Gefühl: Wunderbar, machen wir es gleich noch einmal!
Keine Liegestütze mehr vor jedem „Siegfried“-Aufzug
Gibt es Tricks vor dem Auftritt, die Sie ständig praktizieren? Ich habe gelesen, dass Sie früher vor jedem „Siegfried“-Aufzug um die 50 Liegestütze gemacht haben. Ist das noch so?
Das passiert nicht mehr. Ich hatte einen unglaublichen Energieüberschuss, den musste ich mir abarbeiten, vor jedem Akt und zur Beruhigung.
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Vor einiger Zeit hat NDR-Chefdirigent Alan Gilbert davon gesprochen, dass in der Klassik-Branche viel mehr Menschen Betablocker nehmen, als man vermuten würde. Wird an den Opernhäusern Ihrer Liga regelrecht gedopt, um mit diesem Druck klarzukommen?
Dazu kann ich Gott sei Dank nichts sagen, weil ich selbst diese Dinge nicht verwende. Es wird auf alle Fälle so sein. Dass großer Druck herrscht, ist überhaupt keine Frage. Es ist aber auch eine sehr persönliche Sache. Wenn jemand in seiner Firma ein Referat vor zehn, 20 Leuten hält, muss er sich vorbereiten, ist sehr nervös. Bei uns sind es nicht 20, sondern 2000, 3000, in der Met fast 4000 Menschen. Man lernt, mit diesem Druck umzugehen, das äußert sich bei jedem anders.
Andreas Schager: Oper darf auch mal nur Märchen sein
An der New Yorker Met probten Sie für einen „Tannhäuser“, in einer Inszenierung von Otto Schenk, die nur unwesentlich jünger ist als das Stück selbst. Das reine Musiktheater-Museum. Ist das auch mal schön: Heldenritter-Kostüm anziehen, sich auf die Bühnenmarkierung stellen und lossingen, mal nicht dieses ewige Regietheater-Rumgedenke?
Auf der Probebühne sieht es noch sehr karg aus. Das sind vielleicht ein paar Striche auf dem Boden. Aber ich muss ehrlich sagen, dass ich mich schon sehr darauf freue. Ich habe kleine Kinder zu Hause, und wenn man ein Kind ins Bett bringt, erzählt man ein Märchen. Da passiert etwas für mich Erstaunliches: Sie wollen immer dasselbe Märchen hören. Und was sie sicher nicht hören wollen, ist die Interpretation oder die psychologische Deutung. Das kann unfassbar spannend sein. Aber es muss irgendwo die Möglichkeit geben, dass man die Geschichte, das Märchen an sich, das ja auch erzählt wird, dass man das sehen kann. Das ist hier eins zu eins gegeben.
Sie haben Ihren Kollegen, den Bass Kurt Rydl, einmal zitiert: „Das Einzige, was der Stimme schadet, ist das Singen.“ Wie bereiten Sie Ihre Heldentenor-Stimme vor? Gibt es ein spezielles Konditionstraining, das man bei Wagner braucht, aber bei Mozart tut‘s nicht not?
Eine möglichst bodenständige und möglichst normale Einstellung zu allen Dingen braucht es, das ist für mich das A und O. Wenn man beginnt, sich verrückt zu machen und zu sagen, heute ist die Luftfeuchtigkeit vielleicht ein bisschen größer oder kleiner als sonst und ich muss jetzt den Seidenschal tragen und nicht den Wollschal – solche Rituale gibt es, die sind aber oft nicht sehr hilfreich.
Wenn ich richtig zähle, haben Sie im letzten Jahr in Bayreuth zweimal den Siegfried gesungen, im „Siegfried“ und in der „Götterdämmerung“, und Sie waren als sehr kurzfristiger Einspringer der Parsifal in der Neuproduktion. Den haben Sie in diesem Sommer wieder auf dem Zettel, und Sie sind, mal eben, noch der neue Tristan. Wie erklären Sie jetzt irgendjemandem, dass das noch gesund ist?
Wie erklärt man mir, dass das krank ist? (lacht) Also, ich schöpfe Energie daraus, und das macht Freude. In der Tat ist es schon so, dass ich es sehr, sehr gerne habe, wenn ich, wenn ich zu tun habe. Das ist ja auch ein großer Luxus, große Verantwortung, große Freude. Ich brech das mal runter: Für das Publikum dauert der „Parsifal“ vier, viereinhalb Stunden, mit Pausen bis zu fünf Stunden. Parsifal ist aber nicht die längste Rolle in dieser Oper. Die reine Singzeit, da werden sehr viele überrascht sein, wie wenig das ist: 25 Minuten. Rein von der Stimmphysik her ist es nicht so gefährlich, wenn ich 25 Minuten singe. Es kommt natürlich auf eine gute Technik an, auf Ausdauer und das richtige Material. Habe ich wirklich mal einen Tag frei, bin ich einfach ruhig, schlafe vielleicht etwas länger, frühstücke ausgiebig und gehe spazieren. Es ist ein sehr, sehr ruhiger Job, den wir haben. Die Aufführung ist die Spitze des Eisbergs, das Rundherum raubt die Energie. Das Reisen, das Proben … Aber wenn ich fokussiert bin auf diese 25 Minuten auf der Bühne, dann kann man das oft machen.
Betreiben Sie ganzkörperlichen Ausgleichssport? Marathon, Triathlon? Kegeln, Schach?
Ich wandere sehr gern und erwandere mir die Städte. Wenn ich irgendwo längere Zeit bin, nehme ich mir gerne ein Appartement oder eine Wohnung nicht direkt neben der Oper, sondern zwei, drei Kilometer entfernt. Aber nichts Extremes … Beim New York Marathon habe ich angefeuert.
Einige handliche Fragen, für möglichst kurze Antworten. Die erste: Piano oder forte?
Beides.
Ihr Lieblingsinstrument – und Ihre Stimme gilt nicht?
Gemeinheit … Ganz ehrlich: Ich spiele sehr gern Gitarre.
Welcher Komponist ist massiv überschätzt, und Wagner gilt nicht?
Kann man so eine Frage auch übergehen?
Seine erste Heldentenor-Gage hat Andreas Schager gespendet
Was haben Sie mit Ihrer ersten professionellen Gage gemacht?
Das weiß ich nicht mehr. Aber meine erste Gage als Heldentenor, die habe ich vollständig gespendet. Für ein Projekt in Afrika, das für eine Kindertagesheimstätte Möbel angeschafft hat. Mit meinem ersten Siegfried habe ich da also die Kindersessel ersungen.
Nutella mit oder ohne Butter?
Meine Frau wird sofort „mit Butter“ sagen. Mir ist das zu süß. Ich bin eher der Schinken-Käse-Typ.
Mit welchem Komponisten – außer Wagner – würden Sie gerne über dessen Musik reden?
Bach. Würde mich interessieren.
Andreas Schager: „Buhen im Konzert? Mache ich nicht.“
Bier oder Champagner?
Bier.
Wann haben Sie das letzte Mal im Konzert gebuht?
Nie. So etwas mache ich nicht. Jeder gibt alles, egal in welchem Genre. Sich da rauszustellen und seine Seele zu öffnen, das ist immer lobenswert. Buhs finde ich so unerzogen und so flegelhaft.
Welche Superkraft hätten Sie am liebsten?
Sehr aktuell: Diese sinnlosen Kriege zu beenden, die gerade überall auf der Welt ausbrechen. Politische Superkräfte würde ich mir manchmal wünschen.
Konzerte: 11. / 12. / 14.4. Mahler 8. Sinfonie mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester, dirigiert von Semyon Bychkov. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Evtl. Restkarten.