Hamburg. Sopranistin Camilla Nylund sang Songbook-Standards, Angélique Kidjo begeisterte mit einer „African Symphony“ in der Elbphilharmonie.
Rund um den Mikrofonständer für Camilla Nylund hatte garantiert André Heller persönlich einen Bannkreis aus Blumenblättern streuen lassen. Eine charmante Sicherheitszone, für eine der größten Strauss- und Wagner-Sopranistinnen, für die doch rein gar nichts zu schwer sein sollte. Kürzlich ihre erste „Götterdämmerung“-Brünnhilde in Zürich, wenn dieser Text erscheint, hat sie in Dresden die „Frau ohne Schatten“-Kaiserin zu singen.
Hier aber, im Rahmen von Hellers überraschungsprallem Reflektor-Festival in der Elbphilharmonie, erfüllte Nylund sich vor Live-Publikum und ohne Auffangnetz einen Herzenswunsch. Tat sich damit aber nur sehr bedingt einen Gefallen: Ausschließlich Zartbitter-Balladen aus dem Great American Songbook sollten es sein, ein Abenteuer-Ausflug ins Entertainment, nur sie, der allzu einschläfernd vor sich hinplätschernde Begleitpianist Florian Sitzmann und ganz viel, oft zu viel Pathos. Ein Projekt, das Heller mit ihr vor zwei Jahren in Wien, aber als Konzertfilm, realisiert hatte.
Sichtlich und hörbar verspannt war Nylund in den ersten Nummern, rundum umgeben von Publikum; sie begann, höher kann man kaum ins Standardregal greifen, mit Cole Porters „Everytime We Say Goodbye“ – machte daraus aber eine sehr einstudierte Fleißaufgabe. Nichts floss geschmeidig und lässig, alles wurde fast ängstlich durchbuchstabiert und mit heruntergedimmter Opern-Stimme dennoch aus dem Ursprungs-Genre heraus überhöht. Nach dem ersten Song sprach sie sich Mut zu: „Also, Camilla, beginnen wir das Wagnis!“ Bei Bob Wilsons „Black Rider“ heißt es in solchen Momenten: Easy said, but schwer getan.
Nur langsam wich die Schreckstarre aus Nylunds Simme und Körper
Die Orchester-Unterbauten, die die Hamburger Camerata hin und wieder zulieferte, halfen kaum, um doch noch halbwegs Schwung in die Angelegenheit zu bringen. Eine Meilenstein-Ballade nach der anderen wurde mit überreichlich Bedeutungslast in die Knie gesungen. Sich ernsthaft und wohl im Bewusstsein von Billie Holidays „I’ll Be Seeing You“-Version genau daran zu wagen? Respekt dafür, großen Respekt. Weills „September Song“, Gershwins „The Man I Love“ – erst nach und nach taute Nylund auf, die anfängliche Schreckstarre wich aus Stimme und Körper. Doch am Ende war nicht nur Nylund erkennbar erleichtert, dass dieses Wagnis zum Ende kam.
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Für einen Welthörenden wie Heller sind US-amerikanische Standards nur eine Konzertpause von afrikanischen Standards entfernt. Angélique Kidjo hatte 2023 ihre eigene „Reflektor“-Spielwiese, nun kam sie für ein orchestriertes Best-of-Africa-Programm zurück in den Großen Saal. In wenigen Minuten nur hatte Kidjo die straff angezogene Handbremse der ersten Konzerthälfte wieder gelockert und den Raum aber so was von hüftlocker gesungen. Hits am laufenden Meter, von Fela Kuti oder Youssou N’Dours „Seven Seconds“, Klassiker wie das von Miriam Makeba unsterblich gemachte „Malaika“ oder ihr „Pata Pata“ holten mit unwiderstehlicher Energie nach, was zuvor vermisst werden musste.
Je höher die Ränge im Großen Saal, desto ausgelassener wurde dort in allen Altersklassen getanzt. Und auch die Camerata machte sich bei dieser „African Symphony“ mächtig locker und hatte viel Spaß. Das Feiern und Ausleben von Diversität durch diese fröhliche Begegnung vermeintlicher Gegensätze hätte nicht ausdrücklich erwähnt werden müssen, aber Kidjo tat es in einer Zwischenansage trotzdem und sehr unterhaltsam: „Stellt euch vor, ihr geht aus dem Haus und alle sehen aus wie ihr – ein Albtraum!“ Kidjo drehte von Song zu Song mehr auf, die Temperaments-Temperatur der Musik ging mit nach oben, das Publikum war sowieso schon hin und weg. Und also war wahrscheinlich auch die Zugabe eine Idee des Abend-Spielleiters Heller: Nylund und Kidjo gemeinsam, mit dem für Frieden protestierenden Klassiker „We Shall Overcome“, ganz ohne Kirchentags-Aroma, ganz und gar von Herzen kommend.
Weitere Informationen zum Reflektor-Festival: www.elbphilharmonie.de. Das ausverkaufte „Die Besten aus Wien“-Finale (24.3., 20 Uhr) wird dort im Livestream übertragen.