Hamburg. Die nordenglische Postpunk-Band lieferte einen bemerkenswerten Auftritt ab. Nur einmal konnte einem ein wenig bange werden.
Eine weitere Folge der beliebten Serie: Nordenglische Postpunk-Helden spielen im Gegenlicht mit diskutablem Sound. Knapp ein halbes Jahr aber, nachdem die Sisters of Mercy (gegründet 1980 in Leeds) im Docks einen enttäuschenden Auftritt ablieferten, präsentiert sich New Model Army (gegründet ebenfalls 1980 im benachbarten Bradford) in der Großen Freiheit 36 deutlich frischer.
New Model Army in der Großen Freiheit 36: Die Wut ist immer noch groß
Was vielleicht damit zu tun hat, dass sich die Band um Sänger und Gitarrist Justin Sullivan traut, dem Publikum erst einmal jüngere Songs um die Ohren zu prügeln: als Einstieg das knackige „Coming Or Going“ aus dem erst im Januar erschienenen 16. Studioalbum „Unbroken“, später das sich langsam aus Gitarrendrones aufbauende „First Summer After“, das hymnische „Language“, zwischendurch „Long Goodbye“, auch schon 26 Jahre alt, aber eben keiner der Klassiker. Denn die gäbe es.
Sullivan, dünn, groß, mit langen, grauen Haaren eine zauselige Krähe, war nie ein Hitlieferant, aber ein paar echte Erfolge hatte er, „51st State“, „Stupid Questions“, nicht zuletzt das ikonische „Vagabonds“. Spielt er aber alles nicht. Später immerhin „Green And Grey“ als romantischen Folksong, da ist das Publikum selig, aber, um ehrlich zu sein: Begeistert sind die Zuschauer auch bei den übrigen, noch relativ unbekannten Songs, bald bildet sich ein kleiner Moshpit vor der Bühne.
Die aktuell vierköpfige Band lässt es verhältnismäßig hart angehen
Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass das neue Material gar nicht so anders klingt als die älteren Nummern. Im Grunde bewegt sich New Model Army seit ihrer Gründung zwischen den Koordinaten Punk, Folk, Hardrock und manchmal ein bisschen Metal; in welche Richtung das Pendel ausschlägt, hat vor allem damit zu tun, was für Musiker Sullivan als einzig verbliebenes Gründungsmitglied gerade um sich geschart hat. Dass die Geigen, die die Songs ab Ende der Achtziger prägten, vom Synthesizer kommen, ist entsprechend der Besetzung geschuldet: Der für die Streicher verantwortliche Ed Alleyne-Johnson verließ die Band 1994, auch Shir-ran Yinon ist in der Großen Freiheit nicht mehr dabei.
Die aktuell vierköpfige Band lässt es verhältnismäßig hart angehen; wenn ein Stück einen Knüppelrhythmus verträgt, dann bekommt es den auch, ansonsten hätten neue Nummern wie „If I Am Still Me“ oder „Cold Wind“ auch problemlos auf das 1989 erschienene Durchbruchsalbum „Thunder And Consolation“ gepasst. Was hier weniger Kritik an mangelnder Innovationskraft sein soll als ein Anerkennen der Kompositionskunst Sullivans. Die man (nachdem der Soundmixer den etwas breiigen Einstieg in den Griff bekommen hat) auch zunehmend besser heraushört.
Der Sänger spuckt dem Brexit-Großbritannien seine Verachtung vor die Füße
Ob die Band dabei eine kalte Härte performt oder mit flirrenden Akustikgitarren besticht, ist verhältnismäßig egal – im Grunde ist jedes Stück konzentriert auf die Stimme des Sängers. Die im Laufe der Zeit tatsächlich noch gewonnen zu haben scheint: Sullivan ist mittlerweile 67, er singt rauer, brüchiger als vor 44 Jahren, aber er erreicht weiterhin bemerkenswerte Höhen und lädt seine Kompositionen so mit Schmerz und Leidenschaft auf. Und auch mit ein wenig zu viel Pathos. Er akzentuiert scharf; manchmal, wenn seine Wut auf die Verhältnisse zu groß wird, wird er überdeutlich, das hätte diese Musik gar nicht nötig.
An anderer Stelle rettet er sich in galligen Humor. „If I have to see another fucking Union Jack Flying on the orders of the government, I‘m going to be sick“, spuckt er dem Brexit-Großbritannien seine Verachtung in „Reload“ vor die Füße. Ein Punk darf auch mal klare Worte finden.
New Model Army hat im Laufe der Karriere nie echte Fehler gemacht
New Model Army war immer schon zutiefst politisch, und bei linken britischen Bands äußert sich diese Politisierung aktuell gerne mal in etwas unreflektierter Palästina-Solidarität, zuletzt vor einer Woche bei den Idles in der Sporthalle. Als Sullivan den alten Song „Purity“ ankündigt, betont er, was ihn dieser Tage beim Blick aufs Weltgeschehen beschäftigen würde, da wird einem kurz ein bisschen bange, wo diese Ansage hinführt. Er schimpft dann aber doch nur über „Nationalists, Capitalists and religious Nutcases“, da lässt sich wenig dagegen sagen. Um ehrlich zu sein, hat New Model Army im Laufe der Karriere nie echte Fehler gemacht, also umschifft die Band auch den Palästina-Fallstrick elegant.
Weitere Konzertkritiken
- Black Pumas im Docks Hamburg: 200 Millionen Spotify-Aufrufe sind kein Zufall!
- Lakecia Benjamin: Bei Elbphilharmonie-Konzert schmiedet sie Hamburg-Pläne
- Jason Derulo: Fremdschämen bei einem Konzert-Flop
Zwischendurch wird deutlich, wie gut sich diese Band nach 44 Jahren in der Hamburger Clublandschaft auskennt. Was besser sei, fragt Sullivan ins Publikum, die Große Freiheit, die Markthalle oder das Docks? Freundlich-zurückhaltender Applaus für den aktuellen Ort, frenetischer Jubel für die Markthalle, laute Buhrufe fürs Docks – das sagt auch etwas aus über dieses Konzert, über die schlechte Luft in der Großen Freiheit, über die Sichtverhältnisse, über den Sound.
Und dann: finale Runde. Als letzte Zugabe gibt es den knalligen Metalstampfer „Get Me Out“, aus der Zeit, als New Model Army kurz davorstand, eine echte Hitband zu werden, als allerletzte dann „I Love The World“, düsterer, böser Sarkasmus. Besser kann man das eigentlich nicht machen.