Hamburg. Julja Linhof erzählt in „Krummes Holz“ vom gefühlskalten Aufwachsen auf dem Bauernhof. Und gleichzeitig von zarten Banden der Liebe.

Wie hier ein Nichtwillkommensein literarisch in Szene gesetzt wird, macht das fast schon den halben Lektüre-Reiz aus. Jirka kehrt – niemand freut sich, ihn zu sehen – mit 19 zurück nach Hause, auf einen Bauernhof. Nicht in die norddeutsche Einöde, sondern die westfälische.

Die Schriftstellerin Julja Linhof stammt aus Nordrhein-Westfalen und lebt in Hamburg. Ihre Romanfigur Jirka also: Mit 14 ging er weg, von einem Elternhaus, in dem es keine Liebe gab, ins Internat.

Julja Linhof und ihr Hamburg-Roman über Bauern: Es geht zu Ende mit der Landwirtschaft

Nun ist er wieder da, weil Post vom Kreiswehrersatzamt eingetroffen ist. Zumindest ist das die vordergründige Motivation für die Rückkehr an einen Ort, der im Verfall begriffen ist, in der Abwicklung.

„Krummes Holz“ ist ein wunderbarer, tiefgründiger, doppelbödiger Heimatroman, dicht, poetisch, sehr atmosphärisch, aber auch, sehr, sehr selten, ein bisschen kalendersprüchig und dabei aber wahr, wenn es ums Heimkommen geht: „Einen Teil bringt man mit, und einen Teil lässt man hinter sich. Einen Teil hat man für immer abgestreift, als man Jahre davor aufgebrochen ist, und einen anderen zieht man wieder bereitwillig über, obwohl er unbequem geworden ist. Wie bei einem alten Pullover, den man früher oft getragen hat und der jetzt nicht mehr passt.“

Neues Buch „Krummes Holz“ von Julja Linhof: So einen Bauern braucht niemand

Es passt einiges nicht mehr. Jirkas Vater Georg taucht erst einmal gar nicht auf. Was nicht unbedingt schlimm ist. Georg ist ein Katastrophenvater gewesen, auch vor dem Tod der gemütskranken Mutter. Einer, der seinen für ihn unpassenden, sensiblen Sohn in den Hundezwinger sperrte. Ihn schlug. Die Großmutter Agnes, auch sie gab nie Geborgenheit, ist dement. Und Jirkas Schwester Malene will ihn am liebsten vom Hof mobben. Er soll sie im Stich gelassen haben, oder sie ihn; für beides gibt es Argumente.

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Julja Linhof, Jahrgang 1991, erzählt in ihrem Debüt „Krummes Holz“ eine virtuos arrangierte Familiengeschichte, die auf mehreren Zeitebenen von der Härte des Landlebens berichtet. Arbeit ist alles, das Wirtschaften auf und mit dem Hof; alles ist Pflicht, frei ist hier niemand. Der erstgeborene Sohn muss den bäuerlichen Betrieb übernehmen. Töchter spielen keine Rolle. Das ist das Drama Malenes, die ihre Chance nicht bekommt, aber dabei zuschauen muss, wie ihr Vater den Hof herunterwirtschaftet. So einen Bauern braucht niemand; seine Abwesenheit durchzieht den Roman als unheilvolle Ahnung.

Die Autorin Julja Linhof lebt in Hamburg.
Die Autorin Julja Linhof lebt in Hamburg. © Alena Schmick | Alena Schmick

Ewald Frie hat mit seinem 2023 erschienenen Abgesang auf das bäuerliche Leben, „Ein Hof und elf Geschwister“, das Thema gesetzt; die Landwirtschaft wird demnächst wohl literarisch ein Trend sein. Alina Herbings Roman „Niemand ist bei den Kälbern“ könnte da vor ein paar Jahren lediglich der Vorbote gewesen sein. Dorfromane gibt es übrigens seit Jahren in großer Zahl.

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In „Krummes Holz“ offenbaren sich zwischenmenschliche Beziehungen in Zeitlupe: Linhof, die am Literaturinstitut in Leipzig ausgebildet wurde und später in Hamburg Illustration studierte, ist eine echte Entdeckung und erzählt mit Blick auf die Details vor allem von den Dingen, die Menschen auseinanderbringt. Und dann auch von dem, was Menschen einander nahekommen lässt. Sie erzählt vom Schmerz, der sich unter Geschwistern einstellt, die sich über all ihren Absetzbewegungen vom Vater verlieren. Und sie erzählt von Vätern und Vaterfiguren, die auf kolossale Weise versagen und dafür dennoch Liebe bekommen. Wobei der eine sie mehr verdient als der andere.

„Krummes Holz“ von Julja Linhof: Latente Aggressivität und widerprüchliche Fürsorge

Nicht zuletzt ist „Krummes Holz“ die Geschichte einer zarten Liebe zwischen Männern. Leander, der Sohn des versoffenen, früh gestorbenen Verwalters, ist für den jüngeren Jirka nach dessen Rückkehr mehr als nur eine Erinnerung an frühere Phasen der Identitätsfindung. Die Erinnerungen suchen ihn heim, während um ihn herum eine eigenartige Stimmung aus latenter Aggressivität und widersprüchlicher Fürsorge herrscht.

Wie man lernt, zu dem zu stehen, der man ist, hängt auch von der Umgebung ab, in der man aufwächst. Jirkas und Malenes Kindheit war durchdrungen von Misstrauen und Lieblosigkeit. Kann man aus einer solchen Herkunft etwas retten?

Julja Linhof stellt ihren Roman am 25. April in der Literaturhaus-Reihe „Debüts und Drinks“ im Aalhaus vor. Außerdem liest Luna Ali aus „Da waren Tage“. Beginn der Veranstaltung ist 19 Uhr, Tickets 8, ermäßigt 6 Euro.

Das Cover von Julja Linhofs Roman „Krummes Holz“, Klett-Cotta-Verlag, 270 S.,  22 Euro.
Das Cover von Julja Linhofs Roman „Krummes Holz“, Klett-Cotta-Verlag, 270 S., 22 Euro. © Klett-Cotta Verlag | Klett-Cotta Verlag