Hamburg. Die Kölln-Haferflocken bekommen eine Saga und Pinneberg eine Uni. Die Autorin? Schreibt ausgerechnet auf Mallorca über Norddeutschland.
Eine Saga, die in Elmshorn um die vorletzte Jahrhundertwende spielt? Da muss die große Müslifirma (die kürzlich erst Geburtstag feierte) eine Rolle spielen. Tut sie auch, denn die Autorin Elke Becker, keine Elmshornerin, ist fasziniert von der Kölln-Geschichte. Drei Romane über die Familie und das Unternehmen sollen erscheinen, der erste Band von „Das Haus Kölln: Glänzende Zeiten“ liegt nun vor. Die Idee zur Trilogie entstand beim Frühstück auf Mallorca, wie die in Ulm geborene Auswanderin nun im Abendblatt-Interview erzählt.
Wie um Himmels willen kamen Sie denn auf Elmshorn als literarisches Sujet?
Elke Becker: Ich saß bei einem Haferflocken-Frühstück mit Blaubeeren auf meiner Terrasse und überlegte, wie man auf die Idee kommt, Haferkörner so platt zu machen, damit so feine Flocken daraus werden. Dazu muss ich erklären, dass ich auf dem Land aufgewachsen, durch Getreidefelder gestreift bin und mir alles bis zum Gänseblümchensalat in den Mund gesteckt habe – also auch Haferkörner. Die Spelze stechen fürchterlich in den Gaumen, und wenn ich die Körner mit einem Stein platt geklopft habe, sah das ziemlich matschig aus. Ich war neugierig und machte mich im Netz auf die Suche nach Antworten.
Und dann?
Stieß ich dort auf eine Ausgabe zum 125-jährigen Firmenjubiläum des Haferflockenherstellers Kölln. Ich habe mir die gekauft und bin dann im Jahr 1886 auf den Umstand des plötzlichen Tods von Peter Kölln gestoßen. Seine Frau hat das Werk allein weitergeführt. Ab da überkam mich eine gewisse Nervosität, also packte ich meinen Koffer und machte mich auf den Weg nach Hamburg und nach Elmshorn, um mehr herauszufinden.
Wie haben Sie gemerkt: Eine Haferflocken-Dynastie kann echte Helden hervorbringen?
Das entwickelte sich, je tiefer ich in diese spannende Zeit der Industrialisierung eingestiegen bin. Das Elmshorner Industriemuseum ist ein Füllhorn an Informationen zu dieser Zeit. Es gibt ein Buch, das die Geschichte der Königstraße von 1870 an dokumentiert. Da wusste ich, ich kann diesen Ort authentisch auferstehen lassen. Peter Köllns Witwe musste das Werk retten und hatte das Potenzial für eine echte Heldin. Aber auch ihr erstgeborener Sohn musste früh Verantwortung übernehmen. Das bot ausreichend Stoff für den Entwurf einer spannenden Geschichte. Jeder Mensch hat Wünsche und Träume. Was geschieht also mit den Menschen, wenn das Schicksal von einem Tag auf den anderen alles durcheinanderwirbelt?
Müsli-Firma Kölln aus Elmshorn: Witwe und Interims-Chefin bekommt in der Chronik nicht mal einen Namen
Wobei: Es sind Heldinnen. Im ersten Band steht Charlotte Kölln im Mittelpunkt, die Witwe des Firmengründers. Was war das für eine Frau?
Die Frage stellte ich mir auch. Bei meiner Recherche fiel mir auf, dass über die Frauen der Mühlenwerksbesitzer und über die weiteren Geschwister kaum etwas bekannt ist. Man sprach von Peters Witwe – er war übrigens der vierte Peter Kölln – und der Mutter des Nachfolgers Peter Albert. Namentlich genannt wird die Frau in der Firmenchronik nicht.
Sie mussten also einen Namen erfinden.
Ich taufte sie auf den Namen Charlotte. Um das Werk zu retten und so lange zu leiten, bis ihr Sohn es übernehmen konnte, musste sie klug und behutsam agieren. Es war ihr als Frau verboten, Kredite aufzunehmen und offiziell die Geschäfte zu führen. Wer außer ihr sollte es tun? Der Sohn steckte noch im Studium. Die Kölln-Witwe muss eine mutige Frau gewesen sein, die nicht nur das Werk durch die schwere Zeit führte, sondern zeitgleich auch ihren sechs Kindern die Zukunft sicherte. Sie hat Konventionen gebeugt und war doch gefangen in ihnen, wie ihr Umgang mit Peters zukünftiger Ehefrau Bertha zeigt.
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Es war eine Art erzwungene weibliche Selbstermächtigung, mit der Charlotte zu Werke geht. Im Roman geht es auch um die junge Luisa, die an die Hamburger Uni will und dabei viele Widerstände überwinden muss. Die Kölln-Saga überwiegend aus Männersicht zu erzählen, hätte Sie deutlich weniger gereizt?
Das ist absolut richtig. Über die erstgeborenen Männer der Familie ist vieles überliefert, wie klug und weitsichtig sie agierten, oder wie sie das Werk voranbrachten. Es war an der Zeit, den Frauen eine Stimme zu geben. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein Mann zur damaligen Zeit die Haferflocke erfunden hat. Oder später die Haushaltspackungen. Essen war Frauensache – für mich musste das die Idee einer Frau gewesen sein. Zudem fand ich es deutlich spannender zu erzählen, wie einige Frauen damals versucht haben, ihren Träumen zu folgen und ihre Ziele zu erreichen. Um das in Luisas Fall zu erreichen, musste ich Pinneberg eine Universität schenken.
Nahrungsmittelunternehmen Kölln: Die Firma wurde einst durch einen großen Brand zerstört
Sie nehmen in Ihrem unterhaltsam und szenisch geschriebenen Roman, in dem viele Figuren auftreten, auch das Arbeitermilieu in den Blick. Bertha Peterson wird gegen den Willen Charlottes ihre Schwiegertochter. Wie durchlässig war die Gesellschaft damals?
Es stellte natürlich einen Bruch dar. Deshalb ist Charlotte Bertha nicht gewogen und macht ihr und Peter das Leben schwer. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Peter die Tochter des Mühlenwerks Schlüter geheiratet, um die Werke zusammenzuführen. Aber Charlotte darf ja auch nicht immer ihren Willen durchsetzen, so gab ich ihr einen erstgeborenen Sohn, der durchaus wusste, was er wollte. Und das war Bertha zur Ehefrau.
Dem Roman sollen zwei weitere folgen. Wer wird da im Zentrum Ihres Interesses stehen?
Es findet jeweils ein Generationswechsel statt. Berthas und Peters Kinder übernehmen in Band zwei die Hauptrollen, wobei natürlich die Eltern weiterhin eine Rolle spielen. Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs, der natürlich Auswirkungen auf das Mühlenwerk hat. In Band drei gibt es erneut einen Generationswechsel. Die Wünsche und Träume der Frauen werden insgesamt weiter im Mittelpunkt stehen.
Auch wegen eines Brandes, der Fabrik und Wohnhaus der Familie zerstörte, gibt es wenig Dokumente über die frühe Kölln-Historie. Wo haben Sie recherchiert?
Viele Informationen habe ich aus der Chronik zum 125-jährigen Firmenjubiläum, dann natürlich die Informationen, die ich in Stammbäumen und online gefunden habe. Die besten Informationen erhielt ich im Industriemuseum von Elmshorn, das mich mehr begeistert hat als der große Bruder in Hamburg. Dort lernte ich viel über die damalige Zeit, über die Funktionsweise einer Dampfmaschine und wie die Frauen damals gelebt haben. Ich bin mit einem riesigen Stapel Bücher zurückgekehrt.
„Das Haus Kölln“ von Elke Becker: Das meiste ist frei erfunden
Wie viele Freiheiten gestatteten Sie sich beim Auffüllen der vielen Lücken?
Sehr viele. Ich wollte keine Biografie schreiben, sondern einen fiktiven Unterhaltungsroman. Ich habe dem Apotheker Knauer die widerspenstige Tochter Luisa gegeben, Pinneberg eine Universität und Charlottes jüngster Tochter Marie eine technische Begabung sowie ein eigenwilliges Wesen. Der Lebenslauf aller Kinder – bis auf die Eckdaten des jeweiligen Firmennachfolgers – sind frei erfunden. Auch die Hochzeiten innerhalb Elmshorns sind meine Erfindung.
Welche Reaktionen aus Elmshorn gab es bislang auf den Roman?
Ich hatte Anfang Februar meine Premierenlesung in der Buchhandlung Heymann in Elmshorn vor ausverkauftem Haus. Die Elmshorner haben mir meine Freiheiten nicht übel genommen. Im Gegenteil, sie fanden es schön, mit meinen fiktiven Charakteren einen Streifzug durch die Königstraße der damaligen Zeit zu unternehmen, was mich besonders gefreut hat.
Den Job der Stadtschreiberin könnten Ihnen die Elmshorner ja sicher für eine Weile antragen, oder? Als Belohnung für die Haferflocken-Hommage aus Ihrer Feder.
Schöne Idee. Ich habe meine Zeit während der Recherchereise auf jeden Fall genossen und die Elmshorner als offene und geschichtlich sehr interessierte Menschen kennengelernt. Wer weiß, welche Geschichten die Stadt noch bereithält, wenn man noch genauer hinsieht.
Elke Becker stellt ihren Roman am 12. März in Wedel in der Stadtbücherei vor, Veranstaltungsbeginn ist 19 Uhr.