Hamburg. In der Elbphilharmonie wurde Ewald Frie für sein Buch ausgezeichnet, das einen grundlegenden Wandel in Deutschland beschreibt.
And the winner is: Ewald Frie. Der Geschichtsprofessor aus Tübingen konnte sein Glück kaum fassen, als Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenverein des Deutschen Buchhandels, seinen Namen als diesjährigen Gewinner des Deutschen Sachbuchpreises verkündete. Frie schlug die Hände vors Gesicht und brauchte ein paar Momente, um sich zu sammeln, während das Publikum ihn im Kleinen Saal der Elbphilharmonie mit frenetischem Beifall feierte.
Abgesang auf bäuerliches Leben gewinnt Deutschen Sachbuchpreis
Gewonnen hat Frie den mit 25.000 Euro dotierten Preis für sein Buch „Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“. Als „innovative Geschichtsschreibung“ hatte die sechsköpfige Jury Fries Werk gewürdigt. „In seiner verblüffend einfachen und zugleich poetischen Sprache schafft Frie Zugang zu einer Welt im Wandel – immer emphatisch, aber nie nostalgisch“, heißt es in der Jury-Begründung.
Frie, Jahrgang 1962, erinnert sich an seine Kindheit und Jugend auf dem väterlichen Bauernhof im Münsterland und beschreibt, wie in nur zwei Generationen dieses bäuerliche Leben endete. Dazu hat er umfangreiche Recherchen angestellt, aber auch seine Geschwister interviewt und ihre Beweggründe hinterfragt, warum sie dem Hof den Rücken gekehrt haben und in die Welt hinausgegangen sind.
1950 war noch ein Viertel der Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt
In seiner Dankesrede, launig und ernsthaft gleichermaßen, ging Frie noch einmal auf den Wandel ein, der zwischen den 40er- und den 80er-Jahren nicht nur in seiner Heimat, sondern in der gesamten Bundesrepublik stattgefunden hat. 1950 sei noch ein Viertel der deutschen Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt gewesen. Heute ist es nur noch ein Bruchteil davon.
Frie erwähnte auch auf die Verluste, die mit diesem Wandel einhergegangen sind. Die plattdeutsche Sprache gehe ebenso mehr und mehr verloren wie handwerkliche Fähigkeiten oder die wichtige Gabe, Wetterprognosen aufzustellen. „Wolke 2“ habe übrigens nun schon zum zweiten Mal einen Preis gewonnen, den ersten 1950 bei einer DLG-Schau in Frankfurt als beste rotbunte Kuh. In „Ein Hof und elf Geschwister“ spielt sie eine wichtige Rolle. Für den sympathischen Bauerssohn und heutigen Geschichtsprofessor ein „Doppelsieg“.
206 Bücher wurden von 128 Verlagen eingereicht, acht kamen in die Endrunde
In seiner Rede betonte Frie, dass jeder der acht Nominierten diesen Preis verdient hätte, der erst zum dritten Mal vom Börsenverein verliehen worden ist. „Es lohnt sich, in alle reinzuschauen und mit allen Autorinnen und Autoren zu denken“, sagte er.
206 Bücher wurden von 128 Verlagen eingereicht, acht schafften es, von der Jury nominiert zu werden. Das Spektrum ist groß. Es geht unter anderem um eine Einordnung des israelisch-palästinensischen Konflikts (Meron Mendel: „Über Israel reden“), die Illegalisierung von Flucht (Judith Kohlenberger: „Das Fluchtparadox“), die historische Beschreibung russischen Hegemonialstrebens (Martin Schulze-Wessel: „Der Fluch des Imperiums“) oder die Gegenwartsdiagnose von Gut und Böse (Hanno Sauer: „Moral“).
Es gab kein wirklich herausragendes Buch zum Klimawandel
Jeanne Rubner, Sprecherin der Jury, berichtete in einem Interview mit Moderatorin Katja Gasser, dass es bei den Einreichungen eine Vielzahl von Büchern zum aktuellen Krieg in der Ukraine gegeben und auch das Thema Identität eine große Rolle gespielt habe. Erstaunt zeigte sich die Physikerin und Wissenschaftsjournalistin darüber, dass es in diesem Jahr kein herausragendes Buch zum Klimawandel gab.
Nach Frankfurt und Berlin ist Hamburg der dritte Ort, an dem der Sachbuchpreis verliehen worden ist. Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin, betonte in ihrem Grußwort die für den gesellschaftlichen Diskurs Impulse gebende Funktion gut geschriebener Sachbücher. Die acht ausgewählten Bücher seien „ein Spiegel der Zeit“.
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„Lesen. Denken. Reden.“ lautete das Motto der Verleihung in diesem Jahr. Börsenvereins-Vorsteherin Schmidt-Friderichs bezeichnete die Auswahl als „Panoptikum aktuell relevanter gesellschaftlicher Fragen“. „Wir wollen mit diesen Büchern Bildungslücken schließen und hochwertige Inhalte anbieten“, so die Verlegerin. Oder wie Jurymitglied Stefan Koldehoff es auf den Punkt brachte: „Diese Bücher legen die Grundlagen für eine demokratische Gesellschaft.“