Hamburg. Vor fast 400 Jahren erlebte „Das Leben ein Traum“ seine deutsche Erstaufführung in Hamburg. Jetzt kommt es wieder auf die Bühne.
An einem Dienstagabend brennt im Thalia Theater noch Licht, obwohl keine Vorstellung läuft. Eine lange Probe ist angesetzt. Dreieinhalb Stunden soll sie dauern. Der niederländische Regisseur Johan Simons sitzt in einer der vorderen Zuschauerreihen. „Okay. Go!“, sagt er ausgesprochen fröhlich. Manchmal summt er auch eine Melodie.
Thalia Theater Hamburg: Regisseur Johan Simons auf der Suche nach der Wahrheit
Eine Top-Besetzung steht auf der Bühne und wirft sich erstmals an Kleiderständern in die Kostüme. „Das Leben ein Traum“ des spanischen Barock-Autors Petro Calderon de la Barca – 1639 als deutsche Erstaufführung in Hamburg gespielt – steht auf dem Programm. Premiere ist am 22. März im Thalia Theater. Das hier ist eine sogenannte „AMA“-Probe, so lautet die Theaterformel für „Alles mit allem“, also mit Maske und Kostüm im Bühnenbild.
Bühnenbildner Johannes Schütz ist auch da. Ein hoher Spiegel ziert die Drehbühne, hinzu kommen ein paar Tische und Stühle, Glühbirnen verbreiten funzeliges Licht, eine traumartige Atmosphäre. Das gesamte Ensemble ist durchgehend präsent – wer gerade nicht spielt, zieht sich auf Stühle im Hintergrund zurück. Das ist Simons und Schütz wichtig. Theater entsteht für sie in der Gemeinschaft aller Beteiligten.
Schauspieler Felix Knopp reißt sich im Thalia Theater das weiße Hemd vom Leib
Jens Harzer beginnt einen Monolog. Er spielt Prinz Sigismund, der nach einer schicksalhaften Prophezeiung der Sterne von seinem Vater, König Basilio von Polen, in einen Turm gesperrt wurde, nun aber für ein Experiment von ihm herausgeholt wird und sich einen Tag lang als – hoffentlich – gerechter Herrscher erweisen soll.
Harzer trägt weite Hose und Hosenträger über der bloßen Brust, die Haare verwegen toupiert, das Gesicht weiß bemalt, was ihm etwas Chaplinhaftes gibt. Er ringt mit sich und seinem Tun. „Also, Freunde, wagen wir’s! Ziehen wir gegen meinen Vater. Zeigen wir, dass der Himmel recht hat“ ruft er aus und wirft die Arme in die Höhe. Von der Seite nähert sich Felix Knopp, der seinen Gefängnislehrer Clotaldo spielt. Auch er trägt Hosenträger, reißt sich aber nun ein weißes Hemd vom Leib, übergießt sich mit Wasser und brüllt „Was ist denn hier los?“.
„Vergebung ist das größte Thema, das es gibt“, sagt Johan Simons
„Stopp“, sagt Johan Simons, erhebt sich und geht auf die Bühne. Mit großer Ruhe wird eine Nuance in der Darstellung besprochen, vielleicht angepasst, geschärft. Mal macht Simons, der selbst ausgebildeter Schauspieler ist, eine Bewegung vor. Dann quietschen die bunten Sneakers an seinen Füßen.
Der Intendant des Schauspielhauses Bochum, in diesem Jahr zum achten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen, hat das Stück vor vielen Jahren bereits bei der Ruhrtriennale gezeigt. „Es ist ein reiches Stück mit einer reichen Sprache.“ Ein Vater setzt seinen Sohn jahrelang in einen Turm, lässt ihn dann einen Tag König sein, das Ergebnis gefällt ihm nicht, also betäubt er ihn und setzt ihn wieder in den Turm, damit er denkt, dass alles nur ein Traum sei. „Als er später auf Geheiß des Volkes erneut freikommt, hat er keine Rachegefühle. Er sagt, ich vergebe den Leuten, die mir das angetan haben und werde ganz frisch anfangen. Vergebung ist das größte Thema, das es gibt“, sagt Johan Simons. „Für mich ist das Stück eine Ode an die Fantasie. Es erzählt über eine Fremdheit, vor allem bei Sigismund, der eigentlich aufs Neue die Welt sieht, eine eigene Fantasie aus der Natur entwickelt, sich nicht benehmen kann und die Leute aus dem Gleichgewicht bringt. Das ist etwas, das Kunst vermag.“
Bei der Probe im Thalia zeigt sich: Theater ist nicht immer glamourös
Die Szene wird noch mehrfach wiederholt. Felix Knopps Hemd ist schon völlig durchnässt, wieder und wieder schleppt er den Tisch nach vorne. Jedes Mal sieht die Szene ein bisschen anders aus und ob sie am Ende so bleibt, ist ungewiss. In den kurzen Pausen rückt eine Mitarbeiterin die Requisiten zurecht, ein Techniker feudelt den Boden. Theater ist nicht immer glamourös.
Christiane von Poelnitz geht als König Basilio Richtung Rampe. Finster hockt sie als König angesichts des unheilvollen Treibens des Sohnes Sigismund neben Jirka Zett als launigem Herzog Astolf von Moskau am Tisch. Fanfarenhaft erklingt die Trompete aus Miles Davis‘ „Sketches of Spain“ aus dem Lautsprecher. Schließlich tritt auch Marina Galic auf, als von Astolf verratene Rosaura. Felix Knopp bekommt als ihr Begleiter Clotaldo ihre Wut und Rachegelüste zu spüren. Beide wiederholen ihre Worte wieder und wieder, wechseln die Kleidung vor und zurück. Alles auf Anfang. Starke Frauen inszeniert Johan Simons mit Vorliebe. Auch deshalb hat er die Rolle des Königs mit Christiane von Poelnitz besetzt, spielt dabei auch mit einer Doppeldeutigkeit, die an die bei der Geburt gestorbene Mutter Sigismunds erinnert.
Mit Jens Harzer verbindet Simons eine langjährige Zusammenarbeit
Der Regisseur möchte sich ästhetisch am liebsten nicht festlegen und nicht an einer Handschrift erkannt werden. „Ich finde, dass ein Künstler immer auf der Suche sein muss, damit neue Dinge entstehen können. Das gilt auch für Schauspieler, die eine Rolle jedes Mal so spielen sollten, als wäre es das erste Mal.“
Simons bringt seine Vorbereitung und seine reiche Erfahrung mit, weiß, was er erzählen will. „Doch dann gibt es die Begegnung mit den Schauspielern und Schauspielerinnen und dann muss ich aufmachen“, sagt er und breitet die Arme aus. „Ihren Ideen zuhören und manchmal auch folgen. Das finde ich fantastisch am Theater – es entsteht aus einer Gemeinschaft heraus.“
Mit Ensemblemitglied Jens Harzer verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit – und Freundschaft. „Wir sind beide eigentlich immer auf der Suche nach einer Wahrheit, die es vielleicht nicht gibt“, sagt Johan Simons. Harzer durchbreche Grenzen, genauso wie Marina Galic, die wie Harzer regelmäßig bei Simons – auch am Schauspielhaus Bochum – auf der Bühne steht. „Sie kann wirklich anarchistisch spielen.“ Mit beiden führe er intensive Dialoge über Ethik und Ästhetik. Furchtlos ein Arsenal an Emotionen spielen zu können, das zählt für Johan Simons. Die Probenatmosphäre ist konzentriert, aber angenehm unaufgeregt.
Man kann Johan Simons im Thalia Theater förmlich beim Denken zusehen
Obwohl Simons sich selbst eher nicht als intellektuellen Regisseur sieht, ist sein Gespür für die Bühne und für Sprache außergewöhnlich. Er hat sich aus einfachen Verhältnissen auf dem Land in die Kunst vorgearbeitet. Mit seinem Theater möchte er Menschen erreichen, die normalerweise nicht ins Theater gehen. „Ich finde es gut, wenn man Sachen begegnet, die man noch nicht kennt, über die man nachdenken muss und die man erst mal nicht versteht. Aber nach einigen Nächten denkt man, das Bild hat mit etwas zu tun, das ich kenne. So entstehen neue Gedanken, eine Neugier.“
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Am Ende sitzt Johan Simons still auf der Bühne und man kann ihm förmlich beim Denken zusehen. Wie soll der Abend ausgehen? Im Stück steht ein Happy End mit mehreren Hochzeiten, doch ob das am Thalia auch so kommt, bleibt abzuwarten.
Die Form der Inszenierung wirkt bei dieser Probe zugleich weit fortgeschritten und noch ungeschliffen. Aber es gibt ein Phänomen im Theater: In den hochenergetischen letzten Tagen vor der Premiere rücken sich alle ungelösten Fragen auf wundersame Weise auf.
„Das Leben ein Traum“Premiere 22.3., 19.30 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de