Hamburg. Torsten Fischer inszeniert Strindbergs „Fräulein Julie“ in den Kammerspielen – mit einer unvergleichlichen Hauptdarstellerin.
Am Anfang tanzt er nach ihrer Reitgerte. Wie einen Degen führt Judith Rosmair als Julie das Gerät, dabei lachend im weiten Rock über die mit erhöhten herrschaftlichen Türen versehene Balustrade tänzelnd, während Dominique Horwitz als lüsterner Kammerdiener Jean unten steht. Und das tut er buchstäblich. Das Trauerspiel „Fräulein Julie“, meistgespieltes Stück von August Strindberg, ist eine vertrackte Geschichte, die von Liebe und der Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung – aber eben auch von Klassenunterschieden erzählt.
Torsten Fischer, langjähriger Kölner Schauspieldirektor, hat aus dem Klassiker des späten 19. Jahrhunderts in einer Produktion des Renaissance-Theaters Berlin und des Euro-Studios Landgraf ein Kammerspiel erstellt, das sich auf zwei statt der drei ursprünglichen Rollen konzentriert. Die vom Team erstellte Stückfassung ist dabei bemüht, die Frauen-Verachtung – mit Todesfolge – der Vorlage zu eliminieren, für Gleichwertigkeit im Geschlechterkampf zu sorgen. Auf der Tour durch die gesamte Republik macht die Inszenierung für einige Termine an den Hamburger Kammerspielen halt.
Hamburger Kammerspiele: Judith Rosmair zeigt in „Fräulein Julie“ ihre einzigartige Klasse
Herrschaftlich verdeutlichen Bühne und die Kostüme von Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos das Oben und Unten des Liebes-Duells. Die Titelmelodie aus dem Filmklassiker „In the Mood for Love“ läuft in Dauerschleife. Horwitz gibt den coolen Typen in elegantem Schwarz mit Fliegerbrille, der die Tochter des Gutsherrn schon lange aus der Ferne begehrt. An einem unheilvollen Abend des erotisch aufgeladenen Mittsommer-Festes sind beide – bis auf Jeans nebenan schlafende Verlobte Kristin – allein im Haus und so kommt es, dass die selbst gerade frisch entlobte Gutsbesitzertochter Julie, nun in einem langen glitzernden Abendkleid, den Angestellten nach allen Regeln der Kunst verführt. Es folgt der hohen Schule der Darstellungskunst, wie die beiden einander umkreisen, mit Worten umgarnen, sich wieder entziehen, das Spiel aus Begehren und auf Abstand halten beherrschen.
Vor allem Judith Rosmair beweist hier erneut ihre einzigartige Klasse – und ihre reiche künstlerische Erfahrung, die von den Erfolgsjahren am Thalia Theater mit unvergesslichen Darstellungen etwa als Dorine in Dimiter Gotscheffs „Tartuffe“ bis zur Schaubühne Berlin und eigenen Projekten reicht. Rosmair lässt mit ihrer schillernden Darstellung die Luft flirren, ist mal ganz ätherisches, liebesbedürftiges Wesen, das die Vernachlässigung im Wohlstand durchblicken lässt, dann wieder verwandelt sie sich mit funkelndem Blick ganz in die dominante, demütigende Herrin, die allerdings nicht so genau weiß, was sie will. Im Grunde ist sie eine emanzipatorische Figur auf der Suche nach Freiheit – unterdrückt vom Vater, der schon die Mutter ins Unglück stürzte.
„Fräulein Julie“: Wenn aus reiner Begierde pure Abneigung wird
Eine enge Hamburg-Beziehung weist auch Dominique Horwitz auf. Schon 1993 hatte er an den Hamburger Kammerspielen mit seinem Brecht/Weill-Programm „The Best of Dreigroschenoper“ für Furore gesorgt. Sein Jean wandelt sich hier vom gebildeten Diener mit gebotener Zurückhaltung und Eleganz zu einem herrischen, berechnenden Draufgänger und Grobian, der die Chance wittert, seine arme Herkunft aus einer kinderreichen Familie hinter sich zu lassen. Nicht immer gelingt ihm dabei jede Nuance. Manches wirkt ein wenig hölzern. Am Ende versteht man nicht mehr so recht, was Julie an diesem ungehobelten Jean eigentlich so anziehend findet.
Der wüste Liebesakt am Boden, der irgendwann auf den reichlich eingeflößten Rotwein folgt, hat dann auch schnell einen schalen Beigeschmack. „Und? Was machen wir jetzt?“, fragt Julie. Es dämmert beiden, dass es wohl ein Fehler war. Jean versucht noch Julie zur gemeinsamen Flucht zu bewegen, doch dafür muss sie den Tresor ihres Vaters plündern. Und hier gerät das Herrin-Knecht-Verhältnis in eine gravierende Schieflage. „Nutte bleibt Nutte“, schleudert er ihr entgegen. „Domestik bleibt Domestik“, gibt sie zurück. Er wirft ihr vor, ihn schlimmer als jede Magd belästigt zu haben. Sie verabscheut ihn wie Ungeziefer.
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Diese seelischen Grausamkeiten anzuschauen ist Genuss und Schrecken zugleich. Was Menschen einander antun im Namen der Liebe, welche Macht-Mechanismen oft im Hintergrund lauern, das seziert die Inszenierung schonungslos und sehr präzise. Und wie sich Rosmair und Horwitz leidenschaftlich bis zur letzten Faser duellieren, ist sehenswert. Am Ende ist es Julie, die wieder die Gerte schwingt.
„Fräulein Julie“ weitere Vorstellungen bis 30.3., Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9–11, Karten unter T. 040 4133440;www.hamburger-kammerspiele.de