Hamburg. Thalia-Ensemblemitglied Marina Galic spielt sich aus dem Hintergrund nach vorne. Vom 19. März an ist sie in Shaws „Pygmalion“ zu sehen.

Karg ist die Garderobe. Alle persönlichen Gegenstände, Bücher und Fotos sind vor der Begegnung fein säuberlich im Schrank verstaut. Marina Galic rührt in ihrem grünen Tee. Sie gilt als die Geheimnisvolle, Unnahbare im Ensemble des Thalia Theaters. Der Minimalismus des Raumes passt ganz gut dazu. Offenbarung verspricht schließlich die Bühne. Galic ist eine Akteurin mit dem Zeug zur großen Tragödin. Sie hat feinnervige Szenen in großen weiblichen Rollen abgeliefert, in denen sie häufig den Helden flankierte, doch so richtig ins Rampenlicht gelangte sie nicht. Das hat sich geändert.

Gerade genießt sie einen friedlichen Sonnabendnachmittag zwischen langen Probentagen. Ab dem 19. März ist sie in „Pygmalion“ im großen Haus zu sehen. Als Oberst Pickering, Freund des Sprachwissenschaftlers Professor Higgins, mit dem er die Wette eingeht, aus der einfachen Eliza mittels Sprachunterricht eine Herzogin zu formen. Frei nach George Bernard Shaw in der Regie des Duos Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo. Die beiden Esten sind bekannt für eigenwillige Zugänge zu Stoffen und ein körperbetontes Spiel.

Die Proben fordern von den Schauspielern einiges an Geduld, Disziplin und Wechselbädern. Radikales Arbeiten, wie es Marina Galic gefällt. „Die beiden leben von der Anwesenheit der Körper. Das sind schon fast Choreografen“, erzählt sie. „Dabei geben sie dir das Gefühl, nicht zu wissen, wo es hingeht, aber du merkst schnell, dass sie das ganz genau wissen. Und dann wühlen sie dich einmal von oben bis unten durch. Bis aus einer blassen Skizze ein Bild entsteht.“

„Ein heutiges Edward-Hopper-Bild ohne Farben“

Das Regieduo dreht in der bekannten Geschichte von Bernhard Shaw, die in George Cukors Musical-Verfilmung „My Fair Lady“ unsterblich wurde, die Geschlechterrollen teilweise um. „Wir spielen nicht das Stück“, sagt Marina Galic. „Auch keine Version mit zynischem Blick. Es ist eher ein heutiges Edward-Hopper-Bild ohne Farben, ohne den englischen Biedermeier, ein Teeraum in einer reduzierten Welt, zusammengehalten vom kapitalistischen Korsett der Gesellschaft.“

In diese Welt fällt Eliza, hier Kristof Van Boven, und muss lernen, wie man richtig Tee trinkt. Ihr Oberst Pickering sei vielleicht lange vor Eliza zum Funktionieren in der Gesellschaft abgerichtet worden, so Galic. Die Mechanismen des Systems beschäftigen sie. „Jede Arbeit ist wie das ganze Leben.“ Hier ist sie wichtiger Teil eines Ganzen, anderswo hat man sie längst als Protagonistin erlebt.

Am Thalia Theater war sie die duldsam Liebende, aber überwiegend schweigsame Solveig, die auf den weit gereisten Mann wartet, in Jan Bosses „Peer Gynt“. Sie war die lustvolle Helena in Stefan Puchers „Sommernachtstraum“, die immerhin kraftvolle Sascha in „Platonow“. Natürlich hätte sie lieber eine „Medea“ gegeben. Beweglichkeit und Offenheit für die Fährnisse des Lebens hat die Schauspielerin mit bosnisch-kroatischen Wurzeln in ihrer weit verzweigten Großfamilie gelernt.

Die Leidenschaft zum Theater war stärker

Zunehmend entdecken sie Regisseure auch in Hamburg. Aufregendere Facetten konnte sie in Pascal Ramberts Paardrama „Ende einer Liebe“ zeigen, wo sie und Jens Harzer jeweils eine Stunde lang einen Trennungsmonolog hielten. „Das hat eine gewisse Kargheit und Radikalität, das ist sehr nach meinem Geschmack“, sagt sie. In Luk Percevals „Die Brüder Karamasow“ glänzte sie ebenso wie als Brünnhilde in Antú Romero Nunes’ „Die Nibelungen“. Mit dem gesamten Ring habe man sich, klar, übernommen. „Nunes’ Ästhetik hat etwas sehr Poetisches und gleichzeitig eine unglaubliche Leichtigkeit. Er hat ein Urvertrauen in den Spieler“, so Galic. „Er weiß, dass die Impulse eines guten Schauspielers die besten sind. Die kann man als Regisseur gar nicht selber erfinden, man kann ihnen aber den Boden bereiten.“ Galic vertraut ihren Impulsen und dreht jedes Wort im Gespräch so lange, bis es passt.

Zuletzt hat sie sich in Luk Percevals durchaus sperriger Inszenierung von „Früchte des Zorns“ in der Rolle der Mutter Joad kämpferisch gezeigt und war das Zentrum der eher spröden Theaterinstallation. „Wir haben da noch mal richtig dran gearbeitet“, erzählt Galic. „Die Zeit des Stillstands gedehnt. Das Warten, den Leerlauf, die traurige Sinnlosigkeit der Reise zum utopischen Land der Träume ‘California’ noch schmerzlicher, hoffnungsloser, unversöhnlicher gemacht.“ Perceval empfinde sie als ein ganzes, einmaliges Universum. Ihre Vorliebe für bildende Kunst kommt nicht von ungefähr. Für die gebürtige Frankfurterin gab es zunächst noch eine zweite starke Liebe, die zur Malerei. Doch die Leidenschaft zum Theater war stärker.

„Ein gewohntes Umfeld ist für Kunst der Tod“

In Hamburg hätte sie schon früher landen können, denn sie wurde direkt nach der Schule an der Hamburger Theaterakademie angenommen, genauso wie an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule. Sie entschied sich für München, ging dann nach Berlin an Thomas Ostermeiers legendäre Baracke und folgte ihm auch an die Schaubühne. Lehrreiche Jahre, die mit dem zunächst „herrlichen Scheitern“ Ostermeiers auch Täler bereithielten. Schon hier zeigte sie sich auch als tänzerische Performerin. Große Rollen am Schauspiel Frankfurt, am Schauspielhaus Bochum und fünf Jahre am Bayerischen Staatsschauspiel in München lösten einander ab, bevor sie in Hamburg ankam.

Hier spürt sie eine protestantische Sicht auf die Kultur, saugt alles in sich auf, Kunst, Fotografie, Musik und immer wieder Film. Inspirationen fürs Leben. Ein Leben, in dem die Arbeit dominiert, zumal in Zeiten, in denen die Theatermaschinerie, die sie „Hochleistungssport“ nennt, heutzutage mehr Druck und immer weniger Probenzeit bedeutet. „Es ist ein hoher Grad an Unzufriedenheit erforderlich, um diese Arbeit zu tun. Du musst in Bewegung bleiben. Ein gewohntes Umfeld ist für Kunst der Tod“, sagt Marina Galic ruhig, aber bestimmt. „Die Geste muss aus dem vollsten Widerspruch kommen, damit sie einen selbst erweckt und auch den Zuschauer.“

Man wüsste ja doch gerne, was sich in den Schränken verbirgt. Aber ihre letzten Geheimnisse hat Marina Galic bewahrt. Alles andere erkennt man in ihrem Spiel.

„Pygmalion – Prof. Higgins, Eliza Doolittle & Co.“ Premiere Sa 19.3., 20.00. Marina Galic spielt auch in „Die Möwe“: letzte Vorstellungen 25., 19.00, 30.3., 19.30, 24.4., 19.00, Karten jew. 10,- bis 52,- unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de