Hamburg. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, das Kunstspiel zum Mitmachen. Diese Woche: „Mondaufgang am Meer“ von Caspar David Friedrich.

Es kam wohl nicht häufig vor, dass Caspar David Friedrich (1774–1840) Aufträge für Bilder annahm. Seinem hassgeliebten Zeitgenossen Johann Wolfgang von Goethe soll der Romantiker ganz unromantisch abgesagt haben, als dieser Wolkenstudien bei ihm bestellte; weil Friedrich das ja so super draufhatte. Für den Berliner Bankier Joachim Heinrich Wilhelm Wagener, dessen Kunstsammlung die Nationalgalerie begründete, machte der Künstler eine Ausnahme und schuf eine Morgen- und eine Abendlandschaft, deren Vollendung er 1822 bekannt gab.

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Solche Bilderpaare, meist im Format identisch und gleichzeitig entstanden, sind typisch für das Werk Friedrichs. „Der Maler bot damit verschiedene Perspektiven an. Zum einen entstanden antithetisch aufeinander bezogene Gegensatzpaare. Zum anderen schuf er Bilderpaare oder Zyklen, um zeitliche Abfolgen darzustellen, etwa Gemälde von Tageszeiten, Jahreszeiten oder Lebenszeiten“, schreibt die Friedrich-Expertin Birgit Verwiebe im Katalog zur Kunsthallen-Ausstellung „Kunst für eine neue Zeit“.

Ein Abendbild von Caspar David Friedrich, das Sehnsucht und Hoffnung weckt

Als Morgenbild schuf der Künstler das Werk „Der einsame Baum“, wobei er offensichtlich durch seine Reise ins Riesengebirge 1810 inspiriert wurde. Im Hintergrund sind die zart gemalten Bergkuppen des nordböhmischen Jeschkengebirges zu sehen. An dessen Rand ist ein Kirchturm im Morgendunst zu erkennen, der auf eine Stadt hindeutet. Vor einer weiten Wiesenlandschaft mit Baumgruppen ragt mittig eine stattliche Eiche an einem Tümpel empor. Außer einem winzig dargestellten Schäfer, der unter dem Baum rastet, ist die Szenerie menschenleer. Die Eiche verkörpert Lebenskraft und Stärke, verweist aber auch durch ihre abgestorbenen Äste auf das Jenseits.

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Für das hier abgebildete Abendmotiv „Mondaufgang am Meer“ wählte Friedrich seine klassische Strategie der Figuren in Rückenansicht. Zwei Frauen, die dicht beieinander auf großen Felsblöcken am Ufer sitzen und sich im Arm halten, blicken versunken auf das vor ihnen glitzernde Meer mit den Segelschiffen darauf. Ein Mann an der rechten Seite beugt sich leicht zu ihnen; auch er ist gefangen vom Moment, da der Mond sich durch die Wolken schiebt.

Caspar David Friedrich, „Mondaufgang am Meer“, 1822, Öl auf Leinwand, 55 mal 71 Zentimeter, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie.
Caspar David Friedrich, „Mondaufgang am Meer“, 1822, Öl auf Leinwand, 55 mal 71 Zentimeter, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. © bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders | SMB / Jörg P. Anders

Heimkehrende Schiffe und Innigkeit der Figuren strahlen etwas Tröstliches aus

Der endlos scheinende Himmel und die Wasseroberfläche gehen eine harmonische Symbiose ein und sind kaum voneinander zu trennen, zumal die Perspektive, mit der die Boote ins Bild gesetzt wurden, wie eine optische Täuschung, eine Spiegelung am Himmel wirkt. Währenddessen geben die dunklen Silhouetten der Figuren der Komposition Halt. Das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin beherbergt zwei Tuschezeichnungen des Malers, in denen er die Frauen sowie den Mann auf Pauspapier vorempfand. Diese Umrisszeichnungen verwendete er anschließend, um die Figuren in Öl auf die Leinwand zu bringen.

Für die Kunsthistorikerin Verwiebe, die die am 19. April startende Ausstellung „Unendliche Landschaften“ in der Nationalgalerie kuratiert, strahlt das Gemälde durch die heimkehrenden Schiffe und die Innigkeit der dargestellten Personen etwas Tröstliches aus. „Zugleich wird in der Weite von Himmel und Horizont die Unermesslichkeit des Universums spürbar. (...) So erscheint im Abendbild das Naturschauspiel mit dem Mond als Zeichen der Hoffnung in überirdischer Schönheit, weckt Sehnsüchte und führt die Gedanken hin zu Ahnungen.“