Hamburg. Waagenbau, Astra Stube und Fundbureau sind weg, aber im Brückenstern gibt es weiter Livemusik – dank eines hingebungsvollen Betreibers.

Die Stresemannstraße ist nicht gerade ein Ort, an dem sprichwörtlich die Sonne aufgeht. Vierspur-Verkehrsbandsalat zieht an grauschwarzen bis bunt besprühten Altbaufassaden entlang und lässt den Rost von der Sternbrücke an der Ecke Max-Brauer-Allee auf den pockennarbigen Asphalt rieseln.

Aber Kwesi Asiama und seine Vorfreude überstrahlen das Grau in Blau und sogar das Rot der Fassade des Jazzclubs Brückenstern – den Asiama gerade aufschließt: Es ist sein Club.

Sternbrücke Hamburg: Ein letzter Club hält die Kultur am Leben – für den Jazz

Jazz in Hamburg hat eine viele Jahrzehnte überdauernde Tradition in der Stadt, mit den Konstanten Cotton Club am Alten Steinweg und Birdland in der Gärtnerstraße und einigen jüngeren Adressen für Jazzfans wie Hafenbahnhof, Cascadas und den Brückenstern.

Im Club-Bermuda-Dreieck der Sternbrücke mit Techno und Elektro in Waagenbau, Fundbureau und Beat Boutique, den Underground-Livekneipen Astra Stube und Bar 227, dem Sterngarten und dem Beach Club Central Park ist der Brückenstern die Jazz- und Blues-Etappe auf dem Weg zur Elektro-Höhle Juice Club und zur Neuen Flora mit ihren Musicals. Viel Kultur gibt es hier auf wenigen Metern. Oder besser: Gab es hier auf wenigen Metern.

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Brückenstern: 2008 eröffnete die Kulturkneipe als Restaurant

Seit Januar sind die Sternbrücken-Clubs bis auf die Bar 227 (sie hat noch Gnadenfrist bis Mitte 2025) geschlossen für den Beginn des Brücken-Neubaus. Der Central Park ist schön länger planiert und jetzt Bauplatz. Das macht den Brückenstern sozusagen zum letzten Sternbrücken-Club, auch mit Hundert Metern Abstand. „Es ist keine schöne Ecke hier, aber es war eine sehr lebendige Ecke. Jetzt wird es mit der neuen Brücke sicher nicht schöner und nicht lebendiger“, sagt Kwesi Asiama und zapft dem Besucher erst mal ein perfektes Alster, wie es sich für einen guten Gastronomen gehört. „Hey, ich bin Veranstalter“, entgegnet er dem Lob lachend.

Und das stimmt. Asiama kam 2005 als Maschinenbau-Ingenieur aus Ghana nach Deutschland, aber da seine entsprechenden Papiere nicht anerkannt wurden, um hier zu arbeiten, bildete er sich weiter im Windenergie-Sektor und hielt sich als Küchenhilfe in der Oberhafenkantine über Wasser. „Da habe ich viel gelernt, ich mache Grünkohl, da kannst du dich reinlegen.“ Mit einem Partner und seinen Kenntnissen übernimmt er 2008 das Restaurant Pepper und wandelt es um in den Brückenstern. „Ich bot deutsche Küche an, afrikanisch kochen konnte ich gar nicht. Und kaum ging es los, kam die Finanzkrise, da habe ich gemerkt: Ich muss mich verändern.“

Brückenstern: Am Anfang spielten Studenten, die auf Astra-Kisten saßen

Zuerst waren es Studenten, die in der Ecke neben dem Eingang auf Astra-Kisten sitzend für die Restaurant-Gäste Folk spielten. Nach und nach kauft Asiama das kleine Besteck für eine Bühne für Jam-Sessions, Verstärker, Schlagzeug, Bass und Gitarre. „So wurde es langsam weniger Restaurant und mehr eine Kulturkneipe, und das haben wir immer weiterentwickelt über die Jahre.“

Mittlerweile ist der Brückenstern fest in der Szene etabliert, die Reihen FatJazz und JazzKitchen präsentieren regelmäßig moderne, junge Künstlerinnen und Künstler, aber auch traditionelle Formationen kommen gern und zwängen sich auf und um die winzige Bühne – der Rekord ist 17 Musiker, und das nicht abwechselnd wie beim Brückenjam an Freitagen, sondern auf einmal.

Kwesi Asiama und Marie Luise Enderl, das Doppelherz des Jazzclubs und Restaurants Brückenstern an der Stresemannstraße.
Kwesi Asiama und Marie Luise Enderl, das Doppelherz des Jazzclubs und Restaurants Brückenstern an der Stresemannstraße. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

„Das Publikum ist sehr breit gefächert, von Jung bis Alt, von Quer bis Beet, für alle Hautfarben und Religionen und Herkünfte“, sagt Marie Luise Enderl, Jazzname Ria, Kwesi Asiamas Verlobte und Hälfte des Doppelherzes, das den Puls im Brückenstern antreibt. Zusammen schwärmen sie von Auftritten wie Bodhisattwa Trio und David Murray, aber auch von der Gemeinschaft vor der Bühne:

„Mich bewegt nicht nur die Liebe zur Musik, sondern dass hier Menschen zusammenkommen. Ich bin selber ein Fremder, und wir wollen eine Brücke bauen“, sagt Asiama und Enderl ergänzt: „Deshalb nehmen wir weiterhin keinen Eintritt für von uns selbst veranstaltete Konzerte, sondern lassen den Hut herumgehen. Auch wenn Kwesi schon deutlich macht, dass es im Hut lieber knistert als klimpert.“ Die im Club gastierende FatJazz-Reihe nimmt 15 Euro Eintritt (ermäßigt 8 Euro), zum Beispiel am 6. März bei Olaciregui und Jacobsen Berlin 4tet.

Brückenstern: 2022 bekam der Club den Kulturpreis „Applaus“ der Initiative Musik

Knistern statt Klimpern. Die Pandemie überstand der Brückenstern durch staatliche – Trommelwirbel – Überbrückungshilfen und Spenden der Gäste. Und durch 10.000 Euro beim Applaus 2022, dem Kulturpreis der Initiative Musik in der Kategorie „Beste kleine Spielstätten & Konzertreihen“. Wie ein Bebop-Saxofonsolo ist das Betreiber- und Veranstaltergeschäft für so kleine Clubs ein wilder, von Spontanität, Einfallsreichtum, Solidarität und Leidenschaft begleiteter Ritt am Rhythmus der Krisen entlang. Finanzkrise, Pandemie, jetzt der Brückenneubau.

„Ich hatte schon relativ früh angefangen, die Bahn zu fragen, wann es losgeht, wie die Baustelle aussehen wird, und was das für diesen Laden ohne Parkplätze zum Ein- und Ausladen und unseren Garten bedeutet. Ob wir sichtbar für Gäste bleiben und ob es Kompensationen gibt. Aber konkrete Antworten gab es nicht, wir erfahren alles eher durch das Abendblatt als durch die Bahn“, bedauert Ria Enderl. „Wir waren eine Gemeinschaft hier, die Clubs waren ohne Konkurrenz untereinander und ergänzten sich perfekt. Schade, dass das bei der Kommunikation nicht entsprechend gewürdigt wurde.“

Brückenstern: FatJazz, JazzKitchen und Brückenjam grooven regelmäßig

Es scheppert ein wenig, ein Schlagzeuger baut das Drumkit in der Bühnenecke vor der Jamsession um und stößt an die Becken. Tusch. Man könnte sich jetzt mit Black-eyed Beans mit gebratener Kochbanane stärken, sich eine Gitarre von der Wand schnappen und beim Jam mit einsteigen. Aber das sollen lieber die Jazz-Könner übernehmen. Was sich Kwesi und Ria noch wünschen? „Hamburg hat eine große Vielfalt, auch im Jazz, aber davon wünschen wir uns noch viel mehr. Und dass wir ein Schmuckstück der Szene werden.“ Aber das sind sie schon, eine kleine Perle der Clubkultur.

Brückenstern Stresemannstraße 133 (S Holstenstraße), Infos und Programm: www.brueckenstern.info