Hamburg. Am Thalia/Gaußstraße zeigt „Geschlossene Gesellschaft“, wie Menschen einander nicht guttun. Mit Verve gespielt, leider risikoarm.

Im Museum gilt der berühmte Sartre-Satz offenbar erst recht: Die Hölle, das sind die anderen. Während sich in der Hamburger Kunsthalle zuletzt Besucherinnen und Besucher der enorm erfolgreichen Caspar-David-Friedrich-Ausstellung beschwerten, dass es zu voll und zu eng und ein Kunstgenuss damit nicht möglich sei, zeigt die jüngste Inszenierung am Thalia in der Gaußstraße: Kleinstgrüppchen sind auch nicht die Lösung.

Regisseur Evgeny Kulagin und Choreograf Ivan Estegneev, beide aus dem engen Umfeld des russischen Exil-Regisseurs Kirill Serebrennikov, zeigen Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ auf der Werkstattbühne der Gaußstraße, einer ausgebauten Probebühne neben dem Fundus, die dort die eingestellte Experimentier-Spielstätte „Garage“ ersetzt. Die Hölle ist bei Ausstatterin Nadin Schumacher ein handelsüblicher Ausstellungsraum, bisschen Kunst, bisschen dunkelrote Wandfarbe, bisschen Sitzmöbel. Bloß zu dritt hocken Garcin, Inès und Estelle vor den Bildern, die so versehrt sind wie die Menschen, und machen sich gegenseitig das Leben schwer. Pardon: den Tod natürlich.

Die Hölle sind immer die anderen – in „Geschlossene Gesellschaft“ zum Beispiel Victoria Trauttmansdorff (links) und Meryem Öz als Estelle und Inès für einander.
Die Hölle sind immer die anderen – in „Geschlossene Gesellschaft“ zum Beispiel Victoria Trauttmansdorff (links) und Meryem Öz als Estelle und Inès für einander. © Fabian Hammerl | Fabian Hammerl

Für die Gemälde haben sie keinen Sinn, es ist stickig (Unterwelt-Inferno und so), und überhaupt: So hatte man sich die ewige Pein jedenfalls nicht vorgestellt. Die Anwesenheit der anderen nervt. „Das Wichtigste ist, dass man die gute Laune nicht verliert“, quakt Estelle (Victoria Trauttmansdorff), während sie permanent auf den Safe Space ihres Mitinsassen spekuliert und Inès (engagiert: Meryem Öz) mit ihrem ständig verrutschenden Top zu kämpfen hat. „Hätte man mich doch mit Männern zusammengesteckt!“ stöhnt Garcin. „Männer können wenigstens schweigen.“

„Geschlossene Gesellschaft“: Dem Abend fehlt ausgerechnet der Abgrund

Tatsächlich kommt die schönste Szene ohne Ton aus, gleich zu Beginn: Wie der Aufseher (Stefan Stern) seine Einsamkeit genießt, wie er mit großen Kopfhörern selbstvergessen durch die noch gänzlich leere Ausstellung tanzt, in ausladenden Bewegungen über das Parkett schlittert, sich schüttelt, verrenkt, dreht und nach und nach seiner Klamotten entledigt, bis der erste „Kunde“ um die Ecke biegt, das ist schon ein toller Theatermoment.

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Auch die Körperlichkeit, mit der sich Johannes Hegemann als Garcin in seine Rolle wirft, ist interessant. Victoria Trauttmansdorff ist ohnehin eine großartige Schauspielerin, es macht immer wieder Spaß, ihrer Spiellust und ihrem Gespür für die kleinen loriothaften Momente in diesem ach so existenzialistischen Drama zuzusehen. Das Ensemble-Quartett entblößt sich auf allen Ebenen. Aber? Aber. Die Zutaten stimmen, das Ganze bleibt in seiner emotionalen Überverausgabung trotzdem seltsam risikofrei. Dem Abend fehlt ausgerechnet der Abgrund, das Kratzige, das Offene. Er wirkt – bei aller darstellerischen Perfektion und Identifikation – vorgespielt.

„Geschlossene Gesellschaft“, Thalia Gaußstraße (Werkstatt), wieder am 24. Februar (ausverkauft) sowie am 12., 14. und 29. März, Karten unterwww.thalia-theater.de