Hamburg. Kurator Markus Bertsch äußert sich nach Besucher-Ärger in der Hamburger Kunsthalle – und räumt Fehler in der Friedrich-Ausstellung ein.
- Lange Wartezeiten sorgen bei Besuchern der Caspar David Friedrich-Ausstellung für Ärger
- Im Interview meldet sich nun Markus Bertsch, Kurator der Kunsthalle Hamburg, zu Wort
- Was dahinter steckt – und wo auch Fehler gemacht worden seien
Am 15. Dezember 2023 hatte die große Jubiläumsausstellung „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ in der Galerie der Gegenwart eröffnet. Fünf Wochen vor Schluss haben schon 185.000 Menschen die Schau gesehen, ein großer Erfolg. Doch zuletzt waren Besucher wegen überfüllter Räume, Gedränge am Eingang und langer Wartezeiten frustriert und kritisierten die Organisation der Kunsthalle. Markus Bertsch, Kurator und Leiter der Sammlung 19. Jahrhundert, der die Ausstellung zusammen mit Johannes Grave und Ruth Stamm entwickelt hat, nimmt dazu Stellung.
Hamburger Abendblatt: Herr Bertsch, was sagen Sie zu der Situation?
Markus Bertsch: Es ist sicherlich keine einfache Situation. Aber es gibt immer wieder Ausstellungen im internationalen Rahmen, wo man genügend Zeit und die entsprechende Geduld mitbringen muss, um sämtliche Exponate gesehen zu haben. Die spektakuläre Leonardo-Ausstellung vor einigen Jahren im Louvre wäre so ein Beispiel. Und auch in ständigen Sammlungen ballt es sich gewaltig, wie vor der „Mona Lisa“ im Louvre oder Botticellis Werken in den Uffizien. Da ist es mitunter schon schwierig, sie überhaupt zu Gesicht zu bekommen.
Mit Blick auf Hamburg habe ich aber durchaus Verständnis für die Reaktionen des Publikums, denn an einigen Stellen in der Ausstellung geht es wirklich ein bisschen zu eng zu. Dann sehen wir uns noch der großen Herausforderung gegenüber, dass viele Gruppen geführt werden, was sicherlich immer wieder auch zulasten der Einzelbesucherinnen und -besucher geht. Wir haben ja nun auch einige Maßnahmen ergriffen, wie die Reduzierung der Tickets und verlängerte Öffnungszeiten ab März. In ein paar Zuschriften wird bedauert, dass man kein Ticket mehr für den Wunschtermin bekommt. Eine solche Situation entsteht logischerweise bei starker Nachfrage.
Kurator Markus Bertsch: „Es ist sicherlich an der Grenze des Vertretbaren“
Neben 100 Zeichnungen gibt es 60 Gemälde und dazu noch 20 Werke von Zeitgenossen Friedrichs auf einer Etage. War Ihr Projekt zu ambitioniert?
Man ist unter Druck, etwas Besonders zu präsentieren, schließlich wird man immer auch an den Besucherzahlen gemessen. Wir wollen viel zeigen, und der Anspruch eines Museums wie der Hamburger Kunsthalle ist selbstverständlich ambitioniert. Ich finde es richtig, dass die Ausstellung breit ausfächert, neue Perspektiven und Bezüge eröffnet, die künstlerischen Blicke unserer Zeit auf Friedrich präsentiert und Analogien zwischen der Romantik und der Gegenwart stiftet. Zudem geben uns das riesige Medienecho und viele lobende Rückmeldungen vom Publikum recht. Die Ausstellung wird über Deutschland hinaus sehr positiv in die ganze Welt getragen. Ob in Österreich, Schweden, Spanien oder den USA, wo die Zeitung „The Art Newspaper“ die Schau gerade als kuratorischen Triumph feiert. Das ist toll für Hamburg. Den Unmut können wir in Teilen dennoch nachvollziehen. Trotzdem: Bestimmte Ausstellungen werden immer auch voll und in Teilen übervoll sein. Und ich finde es auch zumutbar, dass es nun gewisse Wartezeiten vor bestimmten Bildern gibt.
Sie meinen, damit muss man bei einem Blockbuster rechnen. Man hat ja auch die Bilder von der Friedrich-Schau in der Kunsthalle 2006 noch vor Augen, mit den Besucherschlangen vor dem Eingang.
Wir verlagern die Schlangen jetzt von außen nach innen. Aber trotz alledem wäre es mir natürlich auch lieber, wenn alles etwas geschmeidiger funktionieren würde. Es ist aber auch kein sinnvoller Vergleich zu sagen, dass es in der großen „Vermeer“-Schau im Amsterdamer Rijksmuseum 2023 besser lief. Da stehen dann 28 Werke 246 Werken gegenüber. Natürlich hat eine derart unterschiedliche Ausgangslage entscheidende Konsequenzen für den Besucherfluss. Bei Vermeer gab es viel leeren Raum zum Durchatmen – den haben wir leider nicht.
Kunsthalle will jedem den Ausstellungsbesuch zu moderatem Preis ermöglichen
In der nächsten Jubiläumsausstellung in Berlin beschränkt man sich auf nur die Hälfte der Zeichnungen, in Dresden wird sie aufgeteilt: der Zeichner Friedrich im Kupferstichkabinett, der Maler Friedrich im Albertinum. Würden Sie in der Rückschau auch Ihre Bildauswahl reduzieren im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Räume?
Es ist sicherlich an der Grenze des Vertretbaren. Und es gibt einige wenige Nadelöhre im Rundgang, die wir im Grundriss zum Teil noch nicht als Problemzonen identifiziert hatten. Das realisierten wir erst im Vollbetrieb, und dann lässt sich natürlich nicht mehr nachjustieren. In Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro wollten wir eine bestimmte Dramaturgie entwickeln, die zwischen gut gefüllten und in Teilen sogar dicht gehängten Räumen sowie mit einzelnen wenigen Werken bestückten Räumen oszilliert, um darüber einen Spannungsbogen zu erzeugen. Das konsequent einzuhalten, ist natürlich eine große Herausforderung, insbesondere angesichts der erwartbaren Massen. Ein durchgehend meditatives Kunsterlebnis können wir schon aufgrund dessen nicht bieten. Aber vielleicht ist das auch eine falsche Erwartungshaltung beim Besuch einer Ausstellung, die als Blockbuster lanciert wurde.
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Apropos: Ihre Erwartungen, was die Zahlen betrifft, wurden mit mehr als 185.000 Besucherinnen und Besuchern fünf Wochen vor Ausstellungsende weit übertroffen.
Zumal wir an allen Tagen eine konstant hohe Nachfrage haben, die Ausstellung ist von Dienstag bis Sonntag durchgängig extrem gut besucht. Das nimmt vielleicht auch etwas von der Qualität des Kunstgenusses weg. Aber wir wollten auch getreu unserem Motto „Für uns alle“ wirklich jedem bzw. möglichst vielen den Besuch ermöglichen und eben keine Ticketpreise von 25 Euro und mehr aufrufen, wie es andere Museen anlässlich derartiger Ausstellungen machen.
Die Steuerung der Besuchermengen war nur über drei Slots über den Tag verteilt möglich
Wäre es möglich, an den diffizilen Stellen, die Sie beschrieben haben, nachzubessern?
Das bekommen wir räumlich im laufenden Ausstellungsbetrieb leider nicht mehr gelöst. Wir können ja nicht einfach bestimmte Werke von den Wänden nehmen. Diesbezüglich sind wir gegenüber unseren Leihgebern in der Pflicht. Natürlich haben wir im Vorfeld der Ausstellung über Raumalternativen diskutiert. Wir wollten aber bewusst nicht in den Altbau gehen. Das hätte nämlich bedeutet, dass die Gäste einen sehr weiten Weg vom Haupteingang bis zur Sammlung des 19. Jahrhunderts im Bereich der Kuppel zurücklegen müssen. Das Sockelgeschoss im Ungers-Bau der Galerie der Gegenwart wurde ebenfalls erwogen, aber das ist nun mal die Ausstellungsfläche für die zeitgenössische Kunst. Der erste und zweite Stock der Galerie schien uns ein geeigneter Ort. Daran würde ich zu einem Gutteil festhalten, wenngleich ich mir der genannten, aus den Räumlichkeiten resultierenden Probleme durchaus bewusst bin.
Klingt ein bisschen nach Kompromiss. Wenn man bedenkt, dass die meisten Besucher doch wegen der Friedrich-Werke anreisen und sich die zeitgenössischen Arbeiten weniger ansehen: Hätte man besser durchmischen sollen?
Ich finde es in diesem Fall richtig, dass wir das Zeitgenössische und die Friedrich-Werke voneinander separiert haben. Und in gewisser Hinsicht sind sie dennoch räumlich benachbart. Es ist schließlich nur eine Treppe nach oben. Beispielsweise wüsste ich nicht, wie wir die raumgreifenden Videoinstallationen der zweiten Etage mit den Friedrich-Werken sinnvoll hätten kombinieren können. Die Wirkung der Arbeiten von Friedrich und der diversen medienübergreifenden Positionen der zeitgenössischen Kunst ist in vielerlei Hinsicht grundverschieden. Das erschwert ein sinnvolles, plausibles Zusammenführen.
Als problematisch hat sich die Lösung über Zeitfenster-Tickets erwiesen, die zwei- bis dreistündige Einlasszeit vorsehen. Normalerweise erhält man eine Startzeit im 15-Minuten-Takt.
Ja, viele Gäste dachten, dass ihr Ausstellungsbesuch sich auch nur auf diese zwei oder drei Stunden bezieht und kamen direkt zum Beginn ihres Zeitfensters, was dann natürlich zu Staus am Eingang führte. Die Steuerung der Besuchermengen war dadurch nur über drei Slots über den Tag verteilt möglich. Das ist sicher ein Thema, das das Kunsthallen-Team im Nachgang der Ausstellung auswerten muss. Wir wären natürlich glücklicher, wenn wir wüssten, es hat allen gefallen, ganz gleich, mit welcher Erwartungshaltung sie in die Kunsthalle kamen und noch kommen werden.