Hamburg. Heinz Strunk würde es einen literarischen „Blauwal“ nennen. Sein Kollege Thomas Willmann hat für seinen Roman so oder so alles gegeben.
TV-Kritiker Denis Scheck hat diesen Roman gelobt. Wenn dergleichen geschieht, darf man den Begriff „Hype“ verwenden. Also: Es gibt Aufregung um dieses Buch. Es trägt den Titel „Der eiserne Marquis“. Es spielt im 18. Jahrhundert. Ein Mann, ein Uhrmacher, um genau zu sein, zieht durch die Lande. Er erlebt Kriege, er erlebt seine Zeit. Er trifft einen Adeligen, den titelgebenden Marquis. Ein außergewöhnliches Werk urteilen die Kritiker. Wir stimmen zu! Aber 1000 Seiten, mein lieber Mann. In diesem Fall: Thomas Willmann. Der Münchner schrieb die Vorlage zum Filmhit „Das finstere Tal“. Wir haben den Langstreckenmann vor seiner Lesung im Literaturhaus interviewt.
Ihr Kollege Heinz Strunk würde Ihren neuen Roman als „Blauwal“ bezeichnen, den großen Roman, das Opus magnum. Ist „Der eiserne Marquis“ das Gewaltigste, das Sie je geschaffen haben?
Thomas Willmann: Es ist allemal mit weitem Abstand das sowohl von der investierten Zeit als auch vom resultierenden Umfang größte Ding. Und als jemand, dessen Motto immer eher war „Anfänge habe ich ohne Ende“, wundere ich mich selbst, dass und wie ich es fertig bekommen habe. Insofern: Wenn schon, dann, wie man beim Poker sagt, „all in“ – es ist mein Weißer Wal.
Ihr erster Roman „Das finstere Tal“, ein toller Schneewestern, wurde sogar verfilmt. Sie müssen verrückt sein, diesen erfolgreichen Gaul nicht weitergeritten zu haben! Oder ist alles ganz anders?
Jede Marketingabteilung würde sagen: In spätestens zwei Jahren ist bitte der nächste Alpenwestern da, wo der Protagonist in ein Tal reitet und alle erschießt. Nur diesmal im Sommer! Und ich bewundere und beneide durchaus Leute, die ihren Stil und ihr Genre gefunden haben und das fruchtbar immer weiter beackern. Aber das ist nicht, wie ich schreiben kann. Ich muss das Gefühl haben, dass eine Geschichte wirklich von sich aus anklopft in meinem Kopf und dringend erzählt werden will. Und das war nun mal eben der „Marquis“, und keine andere.
Autor Thomas Willmann: Sein erstes Buch ist der Schneewestern „Das finstere Tal“
Sie haben viele, viele Jahre an diesem zweiten Buch gesessen, das fast 1000 Seiten dick ist. Selten war die Frage so erlaubt wie hier: Wie kamen Sie zu diesem Stoff um den genialen Uhrmachergesellen, der als Zeuge durch das blutige 18. Jahrhundert marschiert, ehe er beim titelgebenden Marquis in Paris landet und dort sein spezielles Leben noch einmal von vorn beginnt?
Noch bevor „Das finstere Tal“ fertig war, hatte ich eines Tages plötzlich im Kopf ein Bild. Die Vision von dem, was nun – ich will’s nicht spoilern – das Finale geworden ist. Das blieb lang unverbunden, ich wusste nicht, in welche Zeit und Geschichte es gehört. Hatte aber mit meiner seit Kindheit vorhandenen Faszination mit Maschinenmenschen, Androiden und dergleichen zu tun. Ein Phänomen, das ja im 18. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte. Und irgendwann wusste ich: Das ist die Epoche, in die das Bild gehört. Und von da aus hat sich dann entsponnen, wie es zu diesem Finale kommt und welche Figuren da warum beteiligt sind.
Auch Ihr zweiter Stoff ist kein Gegenwarts-gesättigter – aber nur auf den ersten Blick. Der kranke Marquis will ewiges Leben, und er forscht mit KI – ich nehme an, Sie teilen die Ansicht, dass die neuen Ideen der Menschheit immer nur ein Update von viel älteren sind.
Ei freilich! Ich hab’s nie auf direkten Gegenwartsbezug angelegt – wenn ich das bei der Konzeption vor einem Dutzend Jahren getan hätte, stünde ich heute auch mit einem arg veralteten Buch da. Aber es wurde mir bei der Beschäftigung mit dem Stoff sehr bewusst, wie sehr all die Zukunftsvisionen, die gerade etwa aus Silicon Valley kommen, in einer langen geistesgeschichtlichen Tradition stehen. Und oft hatte ich da bei Nachrichten von narzisstischen Tech-Milliardärs-Transhumanisten sehr stark das Gefühl von: „Ick bün all hier“.
„Der eiserne Marquis“ von Thomas Willmann: Eingrooven in die Sprache
Alle Rezensenten loben zu Recht Ihren originellen Sprachzugriff. „Der eiserne Marquis“ ist in einem kunstvoll arrangierten Ton geschrieben. Er ist vor allem: nicht von heute. Wie waren Ihre diesbezüglichen Überlegungen?
Ich wusste von Anfang an, dass ich aus vielerlei Gründen einen Ich-Erzähler wollte. Na ja, und der konnte dann halt nicht klingen, als wäre er 1980 geboren. Den richtigen Ton zu finden, der plausibel die Sprache des späten 18. Jahrhunderts mitklingen lässt, aber heute lesbar bleibt, und der auch den Charakter des Sprechenden passend inszeniert – das war anfangs Arbeit. Da steckt viel Lektüre dahinter, und das Eingrooven in die Sprache war auch ein Hauptgrund, warum ich zwei komplette Fassungen gebraucht habe.
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Wie haben Sie die Entstehung dieses Werks empfunden? War es mehr Kampf oder mehr Lust? Leidet nicht das persönliche Umfeld, wenn sich einer so lange in die Kunst vergräbt?
Wie bei allem, was man über sehr lange Zeit fast täglich und quasi beruflich macht: Mal so, mal so. Manche Tage sitzt man an einer großen, saftigen Szene, die nur so aus der Feder respektive: Dem Pilot G-Tec-C4 fließt, und es ist sehr beglückend, fast rauschhaft. Manche Strecken meißelt man nur immer mühsam ein paar Absätze hervor, die einen lediglich einen Halbschritt weiterbringen. Und da hilft nur Augen zu und durch, und bloß nicht schauen, wie viel noch vor einem liegt. Und ja, mitunter kann es sein, dass ich dem im Roman auftretenden Einsiedler Eusebius ein wenig zu ähnlich wurde. Aber jeder Beruf nimmt Zeit und Fokus von Freunden, Familie. Und ich hab immerhin das große Glück und Privileg, meinen auch als Berufung empfinden zu dürfen.
Thomas Willmann: „Ich kann sehr beharrlich dranbleiben“
Ich stelle Sie mir als selbstbewussten Schriftsteller vor, der unbeirrbar seinen Weg geht. Täusche ich mich?
„Unbeirrbar“ ja – um nicht zu sagen: stur. Aber deshalb, weil ich mich ganz als Diener des Textes empfinde. Und, glaube ich, ein recht gutes selbstkritisches Gespür dafür habe, ob ich schon dem gerecht wurde, was er von mir verlangt. Bis das erreicht ist, kann ich sehr beharrlich dranbleiben. Und wenn es mir erreicht scheint, kann ich es sehr beharrlich verteidigen gegen äußere, zum Beispiel rein kommerziell gedachte Ansprüche.
Lesen Sie deutschsprachige Gegenwartsliteratur? Ist Ihr Roman auch, unter manchen anderen Dingen, der Versuch, dem Mainstream etwas entgegenzusetzen?
Zugegeben ist die anglo-amerikanische Literatur deutlich mehr mein Revier. Und die letzten Jahre lag ohnehin meist die Recherche oben auf dem Lesestapel. Im deutschsprachigen Raum liegt mir für gewöhnlich das Österreichische näher. Wolf Haas etwa ist ein Genie. Wobei mich aber auch etwa Jenny Erpenbecks „Heimsuchung“ enorm begeistert hat. Ich habe nicht gegen etwas geschrieben – aber schon für eine Art Buch, die ich in der deutschen Literaturbetriebs-Literatur nicht finde, und die ich selbst sehr gerne lesen würde.
Thomas Willmann stellt seinen Roman am 15. Februar im Literaturhaus vor, Beginn der Veranstaltung ist 19.30 Uhr.