Hamburg. Der Kultursenator rhetorisch völlig losgelöst: Im Literaturhaus ging es um Musikgeschmack. Ganz alte Schuhe spielten auch eine Rolle.
Irgendwann, zu sehr vorgerückter Stunde, erinnerte der eine der beiden Musik-Kombattanten den anderen an die getroffene Vereinbarung, nicht selbst zu singen. Rainer Moritz dürfe schwelgen und alles, sagte Carsten Brosda, aber eben nicht das: Seine Favoriten selbst singen.
Sagen wir mal so, der Kultursenator kennt die Bedrohungslage mittlerweile recht gut, wenn er mit dem Literaturhausleiter auftritt. Die musikalischen Vorlieben – Schlager, Udo Jürgens, seeeehr leichte Unterhaltung – von Rainer Moritz noch viel besser. Und beim jetzt sechsten Aufeinandertreffen im Literaturhaus, bei der Neuauflage dieses absoluten Publikumsrenners, wurde Brosda also auch nicht vom charakteristischen Moritz’schen Überschwang überrascht, als der Seicht-Spezialist seine Playlist im Wechsel mit ihm abspulte. Moritz’ Suche im Schlagerarchiv war ergiebig. Diesmal hatte man das Thema „Trennungen“ gewählt. Logisch, dass Roland Kaisers „Lieb mich ein letztes Mal“ eine Rolle spielen musste. Der Saal tobte übrigens schon, als Moritz den Titel des Lieds überhaupt nur nannte. Wen wundert’s.
Brosda versus Moritz: Aller Hemmungen entledigt
Denn die Literaturhaus-Kunstschaft hat eine große Schwäche für Schlager und eine kleine für Country. Deshalb funktioniert das Format so gut, in dem aber insbesondere der Präses der Behörde für Kultur und Medien ein Ventil gefunden hat, aus der staatstragenden Rolle zu fallen. Er tat es einmal mehr zur vollendeten Freude des Publikums. Mit seinen Songs – diesmal etwa Guy Clarks „Instant Coffee Blues“, Johnny Cashs „Life Goes On“ – ist er ja geschmacklich immer auf der sicheren Seite: „Ich mache den ernsten Teil, der Herr Professor den heiteren Tand.“
Wo Brosdas Gegenüber Moritz, der einst vom Hamburger Senat zum Professor ehrenhalber erhoben wurde (da ging es aber sicher nicht um Schlagerexpertise), sich voll im Schlager-DJing auslebte und sich dort wie immer mancher (nur ästhetischer?) Hemmungen entledigte, warf Brosda rhetorisch die Fesseln ab. Seine Sticheleien in Richtung Moritz („Mit starken Frauen können Sie nicht so“) bezogen sich natürlich auf altbackene Geschlechterrollen in der exotischen Welt des Schlagers. Während Moritz tonlos die Lippen bewegte, wenn die Flippers („Weine nicht, kleine Eva“) oder Howard Carpendale („Dann geh doch“) köstliche Trivialpoesie versprühten, guckte Brosda wie immer betont skeptisch aus der Wäsche. Ach könnte man Moritz doch diesen fürchterlichen Musikgeschmack wegtherapieren!
Diesmal im Programm: Das Vorwagen aufs feindliche Terrain
Brosda versus Moritz im Stahlbad der Neckereien: „Ich mache das hier deswegen, weil ich verstehen, dem Trauma auf den Grund gehen will“ (Brosda) – „Sie haben ja mit vielen Leuten zu tun hier in Hamburg, mit Leuten wie Amelie Deuflhard und Joachim Lux“ (Moritz) – „Die sind alle nicht so komplex wie Sie“ (Brosda).
Rainer Moritz trank weißen Wein und trug, als Annäherung an die Countrywelt, ein kariertes Hemd. Einen Cowboyhut und ein paar Songs aus der anderen Abteilung hatte er auch mitgebracht (von Kenny Rodgers etwa) – die Verabredung diesmal war, dass man sich auch aufs feindliche Terrain vorwagte. Rotweintrinker Brosda weitete die Genrefrage auf seine Weise: Seine Nummer eins war „Diamonds And Rust“ von Joan Baez, ein astreiner Folksong. Das hat übrigens eine bestimmte geschmackliche Logik, mal im Ernst: Pedal-Steel-Gitarren sind nur in Maßen genießbar. Als Schlager nominierte Brosda Element of Crime („Ohne Dich“) und Funny Van Dannen („Herzscheiße“) und dehnte die Disziplin dabei sehr weit.
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Zu Udo Jürgens konnte er sich offensichtlich nicht überwinden. Dafür trug Brosda spezielle Schuhe („Die kann man tatsächlich nur noch einmal im Jahr anziehen“), Cowboystiefel, stilechte Texas-Latschen, die habe er sich 1991 gekauft, als er als Austauschschüler in den USA gewesen sei.
Willie Nelson und seine Vorliebe fürs Kiffen
Es war ein kurzweiliger, schöner und schmerzhafter, mit Musikvideos unterfütterter und in Ironie getränkter Abend, in dem beide Hauptpersonen (mehr oder weniger) mit der Gabe glänzten, sich nicht allzuernst zu nehmen. Es ist eine Beruhigung, dass Politiker auch lässig sein können: Zur Stärkung der eigenen Marke hat Carsten Brosda den Abend abermals weidlich genutzt.
Manchmal gab es dabei kein Halten. Als er Willie Nelsons „Always On My Mind“ kundig erklärte und dabei auch die fabelhafte Pet-Shop-Boys-Version erwähnte, schweifte Brosda genüsslich zu Nelsons Kiff-Vorlieben ab, nur um dann tatsächlich den Kanzler ins Gespräch zu bringen. „Mal gucken, wo das in Deutschland endet, wenn Haschisch legalisiert wird und Olaf Scholz morgens erstmal einen durchzieht.“