Hamburg. Er wurde geliebt und geschmäht. Zu seinen Konzerten kommen Tausende, weil er berührt und sich berühren lässt. Eine Gratulation.
Auf Youtube werden Reinhard Meys Songs millionenfach aufgerufen. Das nur zur Erinnerung für die, die Mey entweder gar nicht mehr kennen oder ihn als olle Kamelle aus den Siebzigern abtun. Es sind viele Live-Aufnahmen dabei: Die Streamingmaschine Youtube ist Emotion auf Knopfdruck, und die Leute gehen immer noch zu Hunderten und Tausenden auf seine Konzerte.
Sie gehen auf diese Konzerte als mit Mey Gealterte, sie bringen ihre Kinder und Kindeskinder mit. Man kann auf Youtube Meys Worten ans treu ergebene Publikum lauschen und fühlt mit einem Male Formen von Alter. Obwohl dort ein wirklich alter Mann auf der Bühne steht, spricht er plötzlich auch zu mir. Man ist ja nicht mehr der Jüngste.
Reinhard Mey: Sanfte Stimme zu sanften Akkorden
Deswegen kann ich Reinhard Mey mittlerweile sehr, sehr gut hören. Diesen Liedermacher, diesen Chansonnier deutscher Zunge, von dem mir in Erinnerung ist, dass ihn eine Zeitung mal „Säuselbarden“ schmähte. Von dem ich wusste, oder zu wissen glaubte, dass er tatsächlich mit sanfter Stimme zu sanften Akkorden meist harmlose Verse sang.
Lieder wie „Wenn du bei mir bist“, „Ich bin Klempner von Beruf“ oder „Der Mörder ist immer der Gärtner“, wobei ich letzteres, diese so französische Komposition, schon auch tiefsinnig fand und nicht gefühlig. Und den „Klempner“-Song liebe ich eigentlich, weil der Handwerker-Diss mir immer gefiel.
Ein Song ist völlig zeitlos
Was das Sentimentale angeht, das sich halt so leicht verbraucht um sprachlich immer nah am Klischee siedelt, ist Mey mittlerweile und sogar mehr als gelegentlich auf meiner Wellenlänge. Wenn Mey zu seinen Leuten spricht auf den Konzerten, wenn er von Zeitspannen spricht, die „wie ein Wimpernschlag vergangen sind“, dann fühle ich mich tatsächlich angesprochen. Vergangenheits-sehnsüchtige Lieder wie „Viertel vor sieben“ sind reine Alterssache, klarer Fall.
Aber völlig zeitlos ist immer schon dieser eine Song gewesen, den jeder kennt und den keiner, und pubertierte er noch so vor sich hin, selbst im Musikunterricht richtig schlecht und peinlich finden konnte. „Über den Wolken“ mochten wir aber auch, weil ein Schlagerparodist namens Dieter Thomas Kuhn seine eigene Version daherschmetterte. Es lief auf jeder Party. Was wir als sehr junge Mensch schon dumpf ahnten, war: Die Freiheit, um die es in diesem Schlachtlied aller Piloten ging, ist ein kostbares Gut, das im Laufe der Jahre sicher an Volumen verlieren würde. Wir sahen es ja an unseren Eltern.
Mey sang sich immer in die Herzen des Publikums
Aber natürlich war Mey nicht wirklich was für die Partykeller. Nicht in den Neunzigern, aber auch nicht in den Siebzigern und Achtzigern, als es dem dezent linken Mey, der pazifistische Lieder („Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“) sang, politikspöttische („Was kann schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden?“) und, später, auch welche im Dienste des Tierschutzes, gelang, sich mit manchmal satirisch, aber vor allem auf Wiedererkennbar- und Lieblichkeit setzenden Übungen in Alltagspoesie in die Herzen des Publikums zu singen.
Das tat er übrigens in sprachlich ansprechender Form. Mey („Ich wollte wie Orpheus singen“) ist immer ein Dichter gewesen, ein Liedermacher, der das Private öffentlich machte als das Normale, Gewöhnliche; und nicht das Private zwanghaft als das Politische verstanden wissen wollte.
Meys Lieder waren den Intellektuellen verdächtig
In den Siebzigern machte Mey sich in „Annabelle“ über die beinharten Revoluzzer und Weltverbesserer lustig. Das war schon eine harte Ansage damals und gegen den Zeitgeist. Jahrzehnte später adressierte er im Lied „Der Biker“ erneut Annabelle – quasi eine Entschuldigung an eine ganze Generation. An sein Publikum, in dem niemand ist, der sich als Kleinbürger bezeichnen würde.
Das war ja der Vorwurf, dem ihm zeitweilig manche machten. Meys Besingen des kleinen Glücks, seine vergleichsweise unkämpferischen Lieder über die Liebe, die Familie, den Tod waren den Intellektuellen verdächtig. Mey war eine Liedermacherstimme, die weniger harsch und explizit war als Wader oder Wecker. Wo Wader linke Revolte in der ersten Reihe betrieb, war Mey der sympathisierende Flaneur, der vom Straßenrand interessiert auf die Bewegung schaute. Mey war ein zärtlicher Spötter, ein milder Ironiker.
Wader und Mey auf Konzertreise
Wader und Mey sind früh Freunde geworden, vor dem großen (Mey) und mittleren (Wader) Erfolg. Sie gingen 1967 in Meys Käfer auf Konzertreise. Liedermacher – eine Bezeichnung übrigens, deren Erfindung sich die Hamburger Bühnenurgewalt Wolf Biermann auf die Fahnen schreibt – brauchen ja nicht fiel.
Sie haben Jahrzehnte später von jener gemeinsamen Reise erzählt, die mit einem umjubelten Konzert im Hamburger Audimax endete. Wader hätte ewig so weiter machen können, gerade auch weil Konzertveranstalter Karsten Jahnke ihnen eine richtig große Tournee in Aussicht stellte. Aber Mey seilte sich damals schon von der Studentenbewegung ab. Und er wollte erst einmal sein eigenes Ding machen.
Reinhard Mey verlor einen Sohn
Das tat er dann, gewann Goldene Schallplatten, sang von über den Wolken, begeisterte Kritiker, verärgerte Kritiker, gründete eine Familie, wurde Vater von drei Kindern, verlor einen Sohn. 2014 starb er nach fünf Jahren im Wachkoma. Reinhard Mey widmete ihm 2010 das Lied „Drachenblut“: „Hast Du auf deiner Reise so viel Kümmernis gesehn?/Erschöpft von so viel Schmerzen, ruh dich aus, lass es geschehn/Ich bleib bei dir, ich setze mich an deiner Seite nieder/Ich habe dich so lang vermisst, jetzt habe ich dich wieder.“ Man muss das herzzerreißend nennen.
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Einen wie Reinhard Mey muss es einfach geben, einen Mann, der in sein Publikum berührenden Stücken von sich und von uns allen sang und singt und das übrigens zeitweise auch auf Französisch.
Reinhard Mey veröffentlichte mehr als 400 Lieder
Das ist ja auch das Besondere am vom Chanson so stark beeinflussten Berliner Mey: Nur ein paar Jahrzehnte nach dem deutschen Vernichtungskrieg tourte er durch Frankreich, Belgien und die Niederlande. Mehr als 400 Lieder hat Mey veröffentlicht, ein paar von ihnen sind mit ihren Texten gerade in einem Reclam-Bändchen verewigt worden. Reinhard Meys Lyrik ist jetzt kanonisch.
Gratulation, Reinhard Mey, zu einer imposanten Karriere und zum Geburtstag.