Hamburg. Die umstrittene Wissenschaftlerin Zamzam Ibrahim hielt ihre Rede online. Demonstrierende versammelten sich auf dem Theatergelände.
Groß sind die beiden Aufmärsche nicht. Aber dafür lautstark. 20, 30 proisraelische Demonstranten haben sich auf der Kampnagel-Plaza versammelt, um gegen die heftig kritisierte Einladung der britischen Klimaaktivistin Zamzam Ibrahim zu protestieren, die hier eine Keynote zum Klimagerechtigkeitswochenende „How Low Can We Go?“ halten soll, ihnen gegenüber ungefähr die doppelte Menge propalästinensischer Protestanten. Mittendrin ein Polizeiaufgebot, das die Kontrahenten erfolgreich voneinander trennt.
Weswegen beide Seiten vor allem auf Dezibel setzen. „Gegen jeden Antisemitismus!“, rufen … Ja, wer ruft das eigentlich? Beide? Es ist kompliziert.
Protest gegen Kampnagel-Auftritt von Zamzam Ibrahim hatte sich in sozialen Medien formiert
Der Stein des Anstoßes: Zamzam Ibrahim ist zwar Expertin für die Klimakatastrophe. Aber sie unterstützt auch die BDS-Bewegung, die nicht zuletzt einen kulturellen Boykott des Staates Israel fordert. Unter anderem in der Bundesrepublik und Österreich wird BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) als antisemitisch eingestuft und entsprechend geächtet, insbesondere in Großbritannien aber sympathisieren große Teile der aktivistischen und der Kulturszene mit der Bewegung.
Bei Ibrahim geht das Engagement allerdings über reine Sympathie hinaus: Sie verbindet ihre klimapolitischen Thesen immer wieder mit gegen Israel gerichteten Positionen, unter anderem warf sie Israel, das sie als Apartheid-Regime bezeichnete, in Social-Media-Posts Genozid an den Palästinensern vor und verbreitete ihre Thesen auch im iranischen Staatsfernsehen.
In den sozialen Medien formierte sich der Protest, nachdem der Hamburger Antisemitismusbeauftragte, Stefan Hensel, die Einladung Ibrahims in einem Schreiben an Kultursenator Carsten Brosda scharf kritisiert hatte. Brosda hatte sich zuvor bereits besorgt gezeigt und Deuflhard auferlegt, sicherzustellen, dass während des geplanten Vortrags keine antisemitischen Äußerungen fallen.
Worauf Kampnagel ein Statement herausgab: „In der Tat sind von der Speakerin Äußerungen bekannt geworden, die auch wir so nicht teilen können“, heißt es da. Ibrahim dürfe zwar sprechen, allerdings nicht vor Ort, sondern nur online.
Antisemitismus-Protest um Zamzam Ibrahim: Kampnagel ist die Situation sichtlich unangenehm
Weswegen sich jetzt beide Seiten auf Kampnagel eingeschossen haben: die einen, weil Ibrahim trotz ihrer antisemitischen Positionen über eine Plattform des Theaters sprechen darf, die anderen, weil die Bühne angeblich vor dem Protest eingeknickt sei. Und jetzt stehen sich da also zwei Gruppen auf dem Vorplatz gegenüber und brüllen einander an, die einen tragen Kufija und palästinensische Fahnen, die anderen eine israelische Flagge, die Fronten sind verhärtet. Und dazwischen: die Kampnagel-Dramaturgie, der solch ein Wedeln mit nationalistischen Symbolen sichtlich unangenehm ist. Die den Streit durch die Einladung Ibrahims allerdings erst angefacht hatte.
Die Klimaaktivistin also spricht online. Es geht mehrdeutig um verschiedene Narrative, die für Spaltung oder Einheit sorgen würden. Es komme auf die Wahrnehmung an. Sie spricht vom Schmerz und vom Leid, das gerade jetzt passiere, rezitiert das Gedicht „A Litany for Survival“, in dem die US-Dichterin Audrey Lorde marginalisierte gesellschaftliche Gruppen ermuntert, ihre Stimme zu erheben. Das Wort „Genozid“ fällt nach wenigen Sätzen, aber es bleibt allgemein, wird nicht auf einen konkreten oder gar den aktuellen Nahostkonflikt bezogen.
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Zamzam Ibrahim erzählt von ihrem Aufwachsen als Tochter somalischer Einwanderer in England. Von ihrer Wut, ihrem Willen zur Veränderung, ihrem Weg zur Klimaaktivistin. Auch davon, welche Hürden sie als schwarze muslimische Frau überwinden musste, damit man ihr ein Amt wie jenes zutraute, als stellvertretende Leiterin der European Students’ Union mehr als 20 Millionen Studierende in Europa zu vertreten. Klimagerechtigkeit hat für sie systembedingte Ursachen – die Krise habe ihre Wurzeln auch in ökonomischer Ausbeutung, Vertreibung, Rassismus.
Am Ende steht ein Aufruf zum gemeinsamen Handeln. „Nichts ist machtvoller als eine menschliche Bewegung!“ Vor den Türen streitet eine menschliche Bewegung in zwei Gruppen derweil zwar friedlich, aber unversöhnlich. Kurz nach Beginn der Vorstellung von Philippe Quesnes „Der Garten der Lüste“ zertreuen sich die Demonstranten.