Hamburg. Kampnagel plant mit umstrittener Wissenschaftlerin. Jetzt übt auch der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Kritik.
Der Antisemitismusbeauftragte der Hansestadt Hamburg, Stefan Hensel, hatte dem Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) am Montag eine „politische Bankrotterklärung“ attestiert und ihn wie auch Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard heftig kritisiert. Hintergrund war die Einladung der britischen Wissenschaftlerin Zamzam Ibrahim auf einer Kampnagel-Konferenz zum Thema „Strategien im Klimadiskurs“. Ibrahim hatte dem Staat Israel, den sie als Apartheid-Regime bezeichnet, in Social-Media-Posts zuvor Genozid an den Palästinensern vorgeworfen und war für die sogenannte BDS-Kampagne gegen Israel (Boykott, Desinvestition und Sanktionen) eingetreten. Nun geht die von Hensel angestoßene Debatte in die nächste Runde.
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, unterstützt die Kritik des Hamburger Antisemitismusbeauftragten, wie am Mittwoch aus einem deutlichen Brief an Carsten Brosda hervorgeht: „Man kann nicht für #NieWiederistJetzt auf die Straße gehen und zusehen, wie jüdisches Leben kulturell marginalisiert und angegriffen wird. Das klingt eher nach ‚Schon wieder ist Jetzt!‘“, schreibt Beck darin. „Wo israelbezogener Antisemitismus geduldet wird, gibt es keinen sicheren Raum für Jüdinnen und Juden.“
Beck führt Beispiele aus einem Interview an, dass Ibrahim PressTV, dem Auslandssender des iranischen Regimes, gegeben habe, in dem sie den Ruf nach Klimagerechtigkeit mit dem Verweis verbinde, dass alle Formen von ethnischer Säuberung und Genozid, ob es indigene Gemeinschaften in den Wäldern des Amazonas oder die Menschen in Palästina betreffe, im Hinblick auf die Systeme der Unterdrückung gleich seien („The call for climate justice itself (…) calls for understanding that in any form of ethnic cleansing and genocide, whether it’s indigenous communities in den Amazonia forest or it’s the people of Palestine, the issues and the systems of Oppression that exist there are very much the same“).
Volker Beck zur Kampnagel-Debatte: „Propalästinensisch ist nicht antisemitisch“
Beck führt weiterhin aus, dass Ibrahim im Programm der Kampnagel-Veranstaltung kein Einzelfall sei. Es gebe weitere Referentinnen und Referenten, die sich der „Dämonisierung Israels“ verschrieben hätten. Als Beispiel nennt er Giulia Casalini. „Propalästinensisch ist nicht antisemitisch“, schreibt Beck. „Deuflhard missversteht in ihren öffentlichen Äußerungen den israelbezogenen Antisemitismus als ‚Israelkritik.‘“
Davon ausgehend ruft er Carsten Brosda zum Handeln auf: „Ich fordere Sie auf, bei der Veranstaltung im Kampnagel zu intervenieren und dafür einzutreten, dass Antisemiten, die ihren Antisemitismus antizionistisch aufhübschen, keinen Raum bekommen. Kein Platz für Antisemitismus heißt eben auch, Antisemiten den gesellschaftlichen Raum streitig zu machen.“ Brosda solle sich außerdem dafür starkmachen, dass öffentliche Mittel in Hamburg nicht für antisemitische Inhalte ausgegeben werden und die Landeshaushaltsordnung durch einen entsprechenden Passus ergänzt werde.
Am Mittwochnachmittag sei der Brief von Volker Beck eingegangen, hieß es auf Abendblatt-Anfrage aus der Kulturbehörde: „Die darin enthaltenen grundsätzlichen Vorschläge sind zum Teil sehr weitreichend und bedürfen einer genaueren Prüfung, ob sie tatsächlich geeignet sind, Antisemitismus konkret und wirksam zu bekämpfen. In diesem Ziel sind er und der Senator sich sehr einig“, sagte Behördensprecher Enno Isermann.
Zudem habe Brosda umgehend Kontakt mit Kampnagel aufgenommen, damit dort alle notwendigen Maßnahmen ergreift würden, um zu gewährleisten, dass antisemitische Äußerungen keine Bühne finden würden. Brosda erwarte, dass dies sichergestellt wird, bekräftigt Isermann.
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Volker Beck gehört der Partei Bündnis 90/Die Grünen an. Während seiner Mitgliedschaft in der Bundestagsfraktion von 1994 bis 2017 war er unter anderem ihr menschenrechtspolitischer, religionspolitischer und migrationspolitischer Sprecher. Seit 2022 ist er Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Amelie Deuflhard hatte am Montag die Einladung Zamzam Ibrahims mit ihrer ausgewiesenen Expertise in Fragen globaler Klimagerechtigkeit begründet. Carsten Brosda hatte sich deutlich gegen jede Form von Antisemitismus gewandt, aber auch auf die Freiheit der Kunst verwiesen, die es nicht erlaube, über gesetzliche Regelungen hinaus Vorgaben zur inhaltlichen kulturellen Programmgestaltung zu machen.