Hamburg. Klimaaktivistin spricht bei der feierlichen Eröffnung der Lessingtage, virtuos begleitet von Mitgliedern des Ensembles Resonanz.
Beethoven also. Warum auch nicht? Der fünfte Satz des 13. Streichquartetts, „Cavatina“ genannt, steht in der Tonart Es-Dur, hat einen lyrischen, zugleich erhabenen, machtvollen Ton. Vor allem ist er ernst. Und ernst ist die Lage des Landes. Mehrfachkrisen, Klimawandel, zunehmende kriegerische Konflikte und nun auch noch ein bedrohlich anwachsender Faschismus geben derzeit wenig Anlass zu Optimismus.
Das Thalia-Toleranzfestival „Um alles in der Welt – Lessingtage 2024“ will auch in seiner 15. Ausgabe die gesellschaftlichen Probleme mithilfe der Kunst angehen. Am Sonntagvormittag steht Luisa Neubauer auf der Thalia-Bühne. Aber die Aktivistin der Klimaschutzbewegung Fridays for Future will in ihrer Eröffnungsrede nicht schon wieder mit längst Bekanntem wachrütteln. Und hier kommen Beethoven und das Hamburger Ensemble Resonanz ins Spiel.
Luisa Neubauer gibt sich am Thalia Theater Hamburg kämpferisch und hoffnungsvoll
Das herausragende Klassik-Ensemble ist unter seinem Leiter Tobias Rempe für seine Furchtlosigkeit gegenüber experimentellen Projekten bekannt. Mit auf- und abwogenden Streichern begleiten die vier Musikerinnen und Musiker die frei mit Mikroport auf der Bühne sprechende Luisa Neubauer.
Sie beginnt ihre „Rede in Es-Dur“ mit einer Überraschung. Denn sie wendet sich weg von der Erde und wagt sich hinaus ins All. Dorthin, wo die von der US-Weltraumbehörde Nasa im Jahre 1977 in den Weltraum gejagten Sonden Voyager I und II auf ihrer unendlichen Mission 24 Milliarden Kilometer weit entfernt kreisen. Viele wertvolle wissenschaftliche Daten haben sie geliefert. Umgekehrt haben sie den „Voyager Golden Record“ im Gepäck, der Bild- und Audio-Informationen über die Menschheit gespeichert hat – falls das mal für intelligente Außerirdische interessant sein könnte. Auch bekannte Titel von Bach, Beethoven, Mozart und Louis Armstrong sind darunter. „Was ist die Botschaft der Welt, auf wenige Sätze gekürzt?“, fragt nun Neubauer. „Was würden Sie auf eine solche Platte laden?“
Luisa Neubauer moduliert ihre Stimme gekonnt – untermalt von Streichquartett
Die Rede erprobte Aktivistin und Publizistin moduliert ihre Stimme gekonnt, fast performativ. Immer in enger Zwiesprache mit der eindringlichen, ernsten Musik. Um besondere Emphase auf einzelne Gedanken zu legen, wiederholt das Streichquartett zwischendurch eine der schönsten und traurigsten Phrasen in Dauerschleife.
Beethoven habe gleichsam die Aufklärung vertont, sagt Neubauer. Auch Kant und Voltaire seien da herauszuhören. Befreien wollten sie vom blinden Glauben. Freiheit, Fortschritt und Wachstum sollten an die Stelle treten. Lessing nannte es „Durch eigenes Nachdenken auf Wahrheit kommen.“ Die Nasa wollte dem Universum einen Planeten präsentieren, der stolz auf seine Errungenschaften in Philosophie und Technik sei. „Und was ist davon geblieben?“, fragt Luisa Neubauer.
Ausgehend von den hehren Gedanken und guten Absichten findet sie zu einer ernüchternden Gegenwartsdiagnose. Nach all den Kämpfen hätten nun Faschismus statt Menschlichkeit, Rassismus statt Weltbürgertum Zulauf. „Und es sind die Faschisten, die in diesem Augenblick jene demokratischen Grundordnungen schreddern wollen, mit denen wir uns vor ihnen schützen können.“ Der Zustand der Ökologie sei nur ein Spiegel für das, was aus dem menschlichen Miteinander geworden sei.
Luisa Neubauer: „Aufhören zu warten und anfangen, es gut zu machen“
Wohin hätten der Geist der Aufklärung, das wachsende Wissen und die Supertechnologien die Welt also gebracht? Wenn die Probleme auf der Erde zu groß werden, weicht man eben auf den Mond aus. „Wir haben angefangen, die Zukunft zu kolonialisieren.“ Die mächtigste Gruppe, so sagt Neubauer mit dem Schriftsteller Rafik Schami, seien die Gleichgültigen. Sie ließen zu, dass ausgerechnet die ungerechten unter allen Möglichkeitsfenstern aufgestoßen würden.
Wie aber weitermachen im Angesicht einer solchen Diagnose? Ohne Hoffnung lässt sich nicht leben, das ging schon den Nasa-Mitarbeitern so. Die Menschheit mache weiter, um sich zu beweisen, dass es sich doch lohne. „Die Tatsache, dass wir nach all der Aufklärung und der Entwicklung von menschlichen Gesellschaften vor einer solch fundamentalen Hoffnungskrise stehen, das ist die Hoffnung an sich“, sagt Luisa Neubauer auf einmal wieder gewohnt kämpferisch. „Denn die Suche nach dem Glauben an das Gute, die fängt man nicht auf dem Weg ins Grab an. Die fängt man an, weil man nicht bereit ist, aufzugeben.“ Und sie schließt mit einer Aufforderung: „Niemand wird uns retten, also können wir aufhören zu warten und anfangen, es gut zu machen.“
Vor ihrer so ernüchternden wie berührend Mut machenden Rede findet Thalia-Intendant Joachim Lux klare Worte des Unverständnisses – auch in Richtung der aktuell Regierenden: „Es darf nicht sein, dass sich Sozialdemokraten, Grüne und Liberale so heillos zerstreiten, wie wir es selbst zu Hause nicht akzeptieren würden.“ Auch ruft er ins Bewusstsein, dass eine Demonstration mit zwischen 50.000 und 80.000 Teilnehmenden, wie am vergangenen Freitag am Jungfernstieg, Mut mache, auf Dauer aber nicht reichen werde, um den Rechtsextremismus abzuwehren. Und er mahnt an: „Wir müssen versuchen, mit all den Enttäuschten, den Wutbürgern, den Protestwählern irgendwie – und ich weiß auch nicht so genau wie – ins Gespräch zu kommen und auch zuzuhören. Denn das sind nicht alles Nazis.“
- Thalia Theater: Jeder verzweifelt für sich allein - Kritik zur Fallada-Premiere
- Lessingtage: Schwedische Hygge-Hölle am Thalia in der Gaußstraße – eine Theaterkritik
- Thalia Theater Hamburg: Kluge Science-Fiction-Comedy vom Berliner Maxim Gorki Theater bei den Lessingtagen
Anfangen, das ist die Botschaft. Auch für einen anderen Krisenherd, den Klimawandel. Was die Umwelt betrifft, gibt es am Thalia Theater zumindest zarte Zeichen der Hoffnung. Das Theater habe im Rahmen seiner Möglichkeiten viele ökologische Verbesserungen im Betrieb umgesetzt, so Lux. Im Frühjahr kommt ein Bienenvolk auf dem Dach hinzu. Ab dem Sommer wird es dann den ersten Thalia-Honig zu kaufen geben.
„Um alles in der Welt – Lessingtage 2024“bis 4.2., Thalia Theater und Thalia Gaußstraße, Karten unter T. 32 81 44 44; thalia-theater.de/lessingtage