Hamburg. Der Stockholmer Regisseur Mattias Andersson bringt den Bergman-Film „Schande“ in 2.0-Fassung auf die Bühne. Etwas war allzu plump.

Es ist die reinste Instagram-Idylle. Hashtag Hygge. Ein zum Leben erweckter Ikea-Katalog steht da auf einem kleinen Podest, helle Küche, Doppelbett, Bodumkännchen. Derart skandinavisch geht es zu am Thalia in der Gaußstraße, dass es fast schon in den Augen brennt. Mattias Andersson, Intendant des Stockholmer Theaters „Dramaten“, inszeniert zum ersten Mal an der Hamburger Bühne: Ingmar Bergman, fast ein wenig zu naheliegend.

Wobei – genau genommen ist das Stück „Schande“ die Überschreibung des gleichnamigen Filmklassikers von 1968, damals mit Liv Ullmann und Max von Sydow Bergmans politischstes Werk. Und in der 2.0-Fassung von 2024 (für die Uraufführung im Rahmen der Thalia-Lessingtage aus dem Schwedischen übersetzt von Hannes Langendörfer) könnten Maja Schöne und Jirka Zett als Eva und Jan auch mitten aus Ottensen oder Duvenstedt sein, mit Kuschelstrick gewappnet gegen die ungemütliche Realität da draußen. Zu bequem für eine Haltung, zumal man mit sich selbst genug beschäftigt ist. Passiv-aggressiv sticht schon der Alltagston in die lässig verstrubbelte Wellnesswolligkeit (Ausstattung: Ulla Kassius): „Ist das jetzt der Plan, dass du deine Haare so hast?“ ätzt Eva, bevor sich das Paar seinen grünen Spinatsmoothies widmet und Rhabarber erntet. Hashtag Landleben, die gentrifizierte Variante.

„Schande“ in der Gaußstraße: Der schwedische Regisseur zeigt die Lebensunfähigkeit einer Generation

Die schlummernde Beziehungshölle ist allerdings nicht alles, womit sich die beiden gescheiterten Künstler schon bald herumschlagen müssen. Ein Krieg ist nah, eine Front auf ihrer eigentlich so abgeschiedenen Insel. Wer warum gegen wen? Das bleibt diffus, auch weil es dieses hübsche Paar so wenig interessiert: „We just don‘t want any trouble“, versichern sie. Aber raushalten gilt nicht mehr.

Böse zeigt Mattias Andersson die Lebensunfähigkeit einer Generation, die in ihrer Blase nichts als Wohlstand und Frieden kennengelernt hat. Die keinen Wehrdienst leisten und auch sonst wenig beweisen musste, die sich verwirklichen will, aber das Grauen nicht einmal schnallt, als es sich in Gestalt des Nachbarn Jacobi (bedrohlich: Bernd Grawert) längst Zugang ins Private verschafft hat. „Es ist wirklich sehr, sehr wirklich und ernst“, sagt Jacobi mit kaum verhohlener Verachtung für das nutzlose Pärchen. Die „Muuusiker“, wie er sie gedehnt nennt, obwohl sie das offenbar schon lange nicht mehr sind. „Oje“, fällt Eva dazu ein. Ihr allzu weicher Strubbelkerl hat noch weniger beizutragen.

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Wie brüchig ihre Welt tatsächlich ist, wie dünn der Firnis der Zivilisation, wenn Gewalt und Krisen die eigene Gegenwart konkret erreichen, werden beide bald feststellen. Am Ende stellt Eva die Frage nach der Scham. Sie zielt auch auf die, die hier ebenso angefasst wie begeistert applaudieren. Da hätte es den erhobenen Regie-Zeigefinger gar nicht gebraucht, der Maja Schöne im schließlich hell aufgedrehten Saallicht fragen lässt: „Bin ich in einem Film oder einem Theaterstück? Ist das alles ganz nah oder ganz weit weg?“ Für den bis dahin stimmigen, erschreckend gegenwärtigen und stark gespielten Abend, der nicht nur das schwedische Aufwachen schmerzhaft trifft, ist das ein enttäuschend plumper Schluss.

„Schande“, Thalia in der Gaußstraße, wieder am 29.1. sowie am 9., 10. und 19.2., jew. 20 Uhr, Karten unterwww.thalia-theater.de