Hamburg. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, das Kunstspiel zum Mitmachen. In dieser Woche geht es um „Terra I“ von Alex Grein.

Wer die berühmte Gebirgslandschaft von Caspar David Friedrich in der Ausstellung gesehen hat oder den vorigen Kunsthallen-Podcast gehört oder den entsprechenden Text gelesen hat, erahnt vielleicht schon, auf welches Bild sich die Düsseldorfer Fotografin und Medienkünstlerin Alex Grein, Jahrgang 1983, hier bezieht. Richtig: Es ist „Der Watzmann“ von 1824/25. Zwar fehlt dem Bild „Terra I“ die romantische Stimmung (der Himmel ist blassgrau, und auch die zarten Schneekuppen fehlen), die in verschiedenen Grün- und Brauntönen aufgetürmte Felsformation hat vielmehr eine naturalistische Wirkung. Doch ist die menschenleere Bildkomposition vergleichbar mit der des populären Gletscherriesen in den Berchtesgadener Alpen.

Alex Grein, „Terra I“, 2010, C-Print, 101 mal 130 Zentimeter, Leihgabe der Galerie Gisela Clement, Bonn.
Alex Grein, „Terra I“, 2010, C-Print, 101 mal 130 Zentimeter, Leihgabe der Galerie Gisela Clement, Bonn. © Alex Grein | Alex Grein

Die naturnahe Darstellung täuscht: „Tatsächlich aber hat Grein diese Landschaften in einer sehr konzeptuellen Vorgehensweise digital zusammengesetzt, indem sie Bildausschnitte von Satellitenaufnahmen kombinierte“, schreibt die Autorin Petra Bassen im Ausstellungskatalog zu „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“. Die Künstlerin ist somit Friedrichs Schwester im Geiste: Denn ebenso wie der Romantik-Maler ist auch Alex Grein eine Bilderfinderin, nur eben nicht mit Pinsel und Farbe, sondern mithilfe von Google Earth. In ihrer dreiteiligen Werkserie „Terra I–III“ (2010) erschafft sie künstliche Natur(erfahrungen), geprägt von Malerei, Literatur und idyllischen Landschaftsbildern in den Massenmedien. „Terra II“ bezieht sich auf das Gemälde „Wanderer über dem Nebelmeer“, für „Terra III“ stand das Bild „Felsenlandschaft im Elbsandsteingebirge“ Pate.

Ein Bild, über das selbst Caspar David Friedrich verblüfft wäre

Auch geografisch weisen Grens Arbeiten Parallelen zu Friedrichs Leben und Werk auf: „Die ausgewählten Aufsichten (...) geben Teile von Regionen wieder, an denen der Künstler Skizzen fertigte, sowie von Orten auf der virtuellen Reise dorthin. Durch ihre Collagen entstehen plastische, realistisch anmutende Erdoberflächen, die eine neue Wirklichkeit imitieren“, so Petra Bassen. Über das Bild „Terra I“, eine Leihgabe der Galerie Gisela Clement in Bonn, das im zweiten Stock der Ausstellung in der Galerie der Gegenwart zu sehen ist, wäre sogar Caspar David Friedrich verblüfft!

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Die Wahrnehmung von Landschaft sei für sie „subjektiv und eine durch die Historie geprägte Empfindung“, wird die Künstlerin im Katalog zitiert. Wie sehr der Maler aus Greifswald, der zeitlebens um sein Renommee kämpfen musste, nachfolgende Generationen von Künstlerinnen und Künstlern beeinflusst und inspiriert hat und dies offensichtlich immer noch tut, zeigt die wirklich beachtliche Kollektion zeitgenössischer Werke im zweiten Teil der Ausstellung, die mal augenzwinkernd, mal ganz direkt oder abseitig auf Arbeiten Friedrichs reagieren. Alex Grein und ihre „Terra“-Kunstwerke sind dafür ein besonders deutlicher Ausdruck. Fast wünschte man sich, dass „Der Watzmann“ und „Terra I“ sich direkt in der Galerie begegnen könnten.

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