Hamburg. Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ galt lange als unspielbar. Dirigent François-Xavier Roth wagt sich an das Meisterwerk.

Mehr als 40 Jahre sind vergangen, seit Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ zum letzten Mal in Hamburg zu erleben war. Das Stück ist so monströs und so schwer zu realisieren, dass es selten den Weg auf die Bühne findet. Deshalb hat eine Aufführung wie die am kommenden Sonntag (21.1.) in der Elbphilharmonie auch eine musikhistorische Dimension.

„Die Soldaten“: Sonntag wird in der Elbphilharmonie Musikgeschichte geschrieben

Alleine der personelle Aufwand sprengt alle Grenzen. Zimmermann hat seine Zwölfton-Oper – ein düsteres, dystopisches Meisterwerk über Liebe, Unterdrückung, Gewalt und die drohende Zerstörung der Welt – für eine Riesenbesetzung komponiert. Sie umfasst neben einem rund 120-köpfigen Orchester mit mächtigem Schlagwerkapparat noch eine Jazzcombo, einen Chor und rund zwei Dutzend Solistinnen und Solisten.

„Die Soldaten“ gilt als ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts

Eigentlich kein Wunder, dass die Kölner Oper, die das Werk 1958 in Auftrag gegeben hatte, die Partitur zunächst als „unspielbar“ ablehnte. Einfach zu komplex, das Ganze. Eine Überforderung für alle Beteiligten, auch gedanklich. Inspiriert von seiner literarischen Vorlage, dem Stück „Die Soldaten“ von Jakob Michael Reinhold Lenz, in dem die Einheit von Raum und Zeit teilweise aufgehoben ist, verschränkt Zimmermann verschiedene Stile und Ebenen miteinander. Er collagiert Musik, Filmausschnitte und Einspielungen vom Tonband zu einem multimedialen Gesamtkunstwerk, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft parallel stattfinden. Die „Kugelgestalt der Zeit“ hat Zimmermann seine Vorstellung genannt – und damit vielen schlauen Menschen bis heute Rätsel aufgegeben.

Weil die ursprüngliche Version der Oper sieben Zeitschichten überlagert, wären eigentlich sieben Dirigenten für die Aufführung nötig gewesen. Nicht mit mir, meinte Wolfgang Sawallisch, der damalige Kölner Generalmusikdirektor. Und leitete damit einen zähen Widerstand gegen das Werk ein, dem sich auch der mit Zimmermann befreundete Dirigent Günter Wand anschloss.

Erst 1965, fünf Jahre nach der Vollendung des Stücks, erlebte es dann doch seine Uraufführung, unter Leitung von Michael Gielen. Und diese Premiere wird zum Durchbruch für Bernd Alois Zimmermann und seine Oper. Heute gilt „Die Soldaten“ als ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Aber es bleibt natürlich ein außergewöhnlicher Kraftakt, diesen musikalischen Koloss zu stemmen. Das muss man wirklich wollen und vermitteln können. Um so eine Aufführung im Griff zu haben, braucht es nicht „nur“ musikalische Kompetenz, sondern auch viel Energie und eine starke Persönlichkeit, die die Herausforderung sucht.

EIne der seltenen Aufführungen: 2014 war „Die Soldaten“ in der Komischen Oper in Berlin zu erleben.
EIne der seltenen Aufführungen: 2014 war „Die Soldaten“ in der Komischen Oper in Berlin zu erleben. © picture alliance / dpa | Stephanie Pilick

Dieses Profil liest sich wie eine Stellenbeschreibung für François-Xavier Roth, bekannt als Spezialist fürs Spezielle. „Ich liebe zeitgenössische Musik aus allen Epochen“, sagt der französische Dirigent beim Abendblatt-Gespräch. „Was mich fasziniert, sind Utopien!“

Mit seiner Lust auf das Neue, auf die Entdeckung, hat Roth dem Publikum schon viele aufregende Musikerlebnisse beschert. Sei es mit seinem 2003 gegründeten Ensemble Les Siècles, das die Werke verschiedener Epochen auf den Instrumenten ihrer jeweiligen Entstehungszeit spielt, sei es als international gefragter Gastdirigent oder als Generalmusikdirektor der Stadt Köln und Kapellmeister des dortigen Gürzenich-Orchesters.

„Die Soldaten“: Zu erleben ist eine für den Konzertsaal eingerichtete Version

Mit diesem traditionsreichen Orchester – das schon bei der Uraufführung dabei war und jetzt auch in die Elbphilharmonie kommt –, hat Roth „Die Soldaten“ 2018 zum ersten Mal einstudiert. Damals für eine Neuproduktion zum 100. Geburtsjahr des Komponisten Bernd Alois Zimmermann an der Kölner Oper. „Und ich kann wirklich sagen, dass ich danach nicht mehr die gleiche Person wie vorher war. Das war für mich eine Offenbarung und hat mich tief berührt. Und ich bin total froh, dass wir das Stück jetzt noch einmal in einer anderen Form präsentieren können.“

Diese andere Form ist eine für den Konzertsaal eingerichtete Version, die er in Köln, Hamburg und Paris dirigiert. Wie schon bei Roths erster Begegnung mit der Oper im Jahr 2018 liegt der szenische Teil der Aufführung wieder in den Händen von Regisseur Calixto Bieito. „Calixto ist fast ein Bruder!“, schwärmt Roth, „Er kennt das Stück gut. Es wird sehr einfach auf der Bühne, aber gleichzeitig auch sehr radikal.“

Oper erzählt vom tragischen Schicksal einer jungen Frau

Die Oper erzählt, auf Grundlage des Schauspiels von Jakob Lenz, vom Schicksal einer jungen Frau namens Marie. Sie ist mit dem Tuchhändler Stolzius verlobt, wird aber von einem Offizier verführt und sitzen gelassen. Damit ist ihr Abstieg besiegelt, sie endet als Bettlerin, die der eigene Vater auf der Straße nicht mehr erkennt.

Zimmermanns Stück zeigt den Untergang in all seiner Brutalität, es spart auch die Vergewaltigung Maries durch einen Soldaten nicht aus. Und dennoch, trotz ihrer schonungslosen Härte, versinke die Oper nicht in Seelenschwärze und tiefer Depression, wie Roth betont. „Es gibt auch viele kammermusikalische Passagen, die leichter klingen. Es gibt Tanz, Jazz, Freude, Sex. Alles, was zum Leben dazugehört. Ich finde, man kann sich gut mit den Personen identifizieren.“

Mehr Kultur

Die Oper ist Sozialdrama, musikalische Vision, verzweifelter Aufschrei und Blick in den Abgrund zugleich. Aber auch ein dezidiertes Antikriegsstück, mit Geschützlärm, mit dröhnenden Marschrhythmen und militärischen Kommandos, in denen die traumatischen Erfahrungen Zimmermanns als junger Wehrmachtssoldat nachhallen. Sein Stück thematisiert die Entmenschlichung des Menschen durch den Krieg – und ist damit leider immer noch und immer wieder erschreckend aktuell.

„Die Soldaten“So 21.1., 20.00, Elbphilharmonie, Großer Saal, eventuell Restkarten an der Abendkasse