Calixto Bieito bringt seine Lesart von Verdis Shakespeare-Oper „Otello“an der Staatsoper heraus

Die Trompete setzt zuerst ein, hoch, schnell und scharf, aber im nächsten ­Sekundenbruchteil wird sie schon unter der Woge des Orchestertuttis begraben: Die Holzbläser trillern schrill, die Blechbläser schieben Akkorde nach, in den Geigen schäumen die Arpeggien, und während die tiefen Streicher gewittergrummeln, fahren in den Flöten Blitze nieder. Es kann wirklich ungemütlich sein am Meer.

Naturalistischer als Giuseppe Verdi in seiner späten Oper „Otello“ kann man Sturmflut und Gewitter akustisch kaum darstellen. Der spanische Regisseur Calixto Bieito, in der Opernszene gleichsam das Enfant terrible vom Dienst, schwenkt derweil nach draußen zur politischen Realität und holt auf die Bühne, was zurzeit vor den Küsten Italiens immer wieder zu sehen ist: Zu Verdis gruseliger Wassermusik zeigt er Hafen­kräne und gerupfte Gestalten vor Stacheldraht. Überlebende, mutmaßlich aus Nordafrika, gerade den Gefahren des Meeres entronnen, so muss der zeitgenössische Betrachter assoziieren.

Die Produktion ist vor zwei Jahren am Theater Basel gelaufen, Anfang Januar kommt sie an der Staatsoper Hamburg ­heraus. Die musikalische Leitung übernimmt Paolo Carignani, das Basler Bühnenbild stammt von Susanne Gschwender, und in den Hauptrollen sind der Tenor Carlo Ventre als Otello, die Sopranistin ­Dinara Alieva als Otellos Frau Desdemona sowie der Bariton Claudio Sgura als Jago zu erleben.

Tenor – Sopran – Bariton, so geht das klassische Dramendreieck der Oper, und in der Regel tauchen daraus nicht alle ­lebend wieder auf. Verdi und sein Librettist Arrigo Boito haben die blutrünstige Vorlage von Shakespeare (der seinen Othello mit „h“ schrieb) kongenial für das ­Musiktheater hergerichtet, haben Figuren gestrichen und zusammengelegt.

Die Geschichte ist immer noch im ­Wesentlichen dieselbe: Otello, ein Auswärtiger oder „Mohr“, wie es altmodisch heißt, ist in Venedig zu höchsten militärischen Ehren aufgestiegen, hat trotz seiner Heimatlosigkeit eine Frau gefunden, in ­Venedig gegen alle Vorbehalte den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft und nun als Befehlshaber eine Seeschlacht gewonnen. Sein Untergebener Jago, den er bei einer Beförderung übergangen hat, spinnt eine der perfidesten Intrigen der Opern­geschichte: Er bringt Otello durch ­geschickte Anspielungen dazu zu glauben, Otellos Gattin Desdemona habe eine außereheliche Affäre, und entfacht in Otello tödliche Eifersucht: Dieser erwürgt die Frau, doch zuvor küsst er sie. Und entleibt sich an Ort und Stelle, als er erfährt, dass er Desdemona zu Unrecht verdächtigt hat.

In seiner Raserei hatte er sich nicht einen Moment gefragt, ob das Misstrauen, das Jago ihm eingepflanzt hatte – es geht in der Oper immer wieder um verlorene und zur Unzeit wieder aufgetauchte ­Taschentücher –, eigentlich begründet sei. Der Schriftsteller Max Frisch bringt in seinem „Tagebuch 1946–1949“ Otellos ­unkontrollierte Eifersucht in Zusammenhang mit dessen dunkler Hautfarbe. Shakespeares (und Verdis) Protagonist werde um seiner Erfolge willen geachtet – trotz seiner Abstammung. Dieser Vorbehalt wirke wie Gift für Ot(h)ellos Selbstwertgefühl. „Die Eifersucht wird beispielhaft für die allgemeinere Angst vor dem Minderwert“, schreibt Frisch. Wäre Othello kein Mohr, verlöre das Stück seine wesentliche Metapher, weil „der Eifersüchtige immer ein Mohr ist“.

Otello ist verletzlich, cholerisch und zugleich leichtgläubig. Sein Widersacher Jago ist das komplette Gegenteil. Er zieht von Anfang an Fäden, und im zweiten Akt lässt er gleichsam die Maske fallen und singt sein persönliches, zutiefst zynisches Credo: „Ich glaube an einen grausamen Gott, / Der mich zu seinem Ebenbild ­erschaffen hat / Und zu dem ich im ­Ingrimm rufe“, heißt es in diesem Bekenntnis der besonderen Art, und weiter: „Dass der Mensch das Spiel eines / Ungerechten Schicksals ist / Vom Keim der Wiege bis zum Wurm des Grabes. / Nach all dem Spott kommt der Tod. / Und dann? Und dann? Der Tod ist das nichts / Der Himmel ist ein faules Märchen.“

Verdis Musik malt diese Parodie in grellen, geradezu höhnischen Tönen aus. Immer wieder stürzt sie in Abgründe und nimmt die Katastrophe klingend vorweg. Dieser Jago ist für den Komponisten die eigentliche Zentralfigur des Dramas, ­ursprünglich wollte er sogar die ganze Oper nach seinem negativen Helden benennen.

Nun braucht ja auch der größte Schurke einen Grund für sein Verhalten. Weder Verdi noch Shakespeare sprechen es aus, aber es tritt deutlich zutage, dass Jago von Neid angetrieben ist. Neid, der auch in ­Bieitos Lesart des Stücks eine Rolle spielt. Bei ihm ist Otello nicht einfach ein tapferer Feldherr. Auch er hat Verbrechen begangen, um Karriere zu machen; er ist sich nicht zu schade, vor den Augen der Flüchtlinge im Luxus zu schwelgen. An dieser ­Widersprüchlichkeit wird er zugrunde ­gehen.

„Otello“ 8.1.17, 18.00, Staatsoper (Premiere). Karten zu 119,- bis 163,- unter T. 35 68 68.Weitere Vorstellungen: 11., 14., 17., 20. und 25.1., 7.2., jeweils 19.00