Hamburg. Das Ensemble „Les Siècles“ und François-Xavier Roth spielten Klassiker von Ligeti und Mozart auf zeitgenössischen Instrumenten.
Ein „Originalklang“-Ensemble und Musik von György Ligeti? So historisch ist dieser zeitgenössische Klassiker des 20. Jahrhunderts, vor gerade erst 100 Jahren geboren, dann doch noch nicht, als dass man ihn schon mit musealer Genauigkeit aus verstaubten Stil-Bibeln heraus rekonstruieren müsste. Doch dass François-Xavier Roth und seine Spezialistentruppe Les Siècles sich moderner Musik mit der gleichen präzisionsverpflichteten Akkuratesse widmeten wie bei Ausgrabungen vorangegangener Epochen – das machte diesen Teil vom ersten der zwei Gastspiel-Abende in der Elbphilharmonie überraschend interessant. Genau dort, wo man es spontan eher nicht vermutet hätte.
Roth ist angenehm pingelig bei seiner Arbeit – wenn jemand wie Ligeti eine Musik herbeifantasiert, die in einem Extremfall wie dem Violinkonzert nach Millimeterarbeit in der Feinabstimmung der Stimmen und Eindrucksmöglichkeiten verlangt, dann setzt Roth das mit seinem Orchester auch genau so um. Partitur-Feinmechaniker-Ehrensache. Mit Isabelle Faust war dafür eine Solistin auf der Bühne, die Welten von jeder Show-Mentalität entfernt ist. Ihr Ton war purer Ausdruck, klar, kühl, intensiv, kein Gramm Gefühligkeitsfett.
Les Siècles in der Elbphilharmonie: Neugierige Ruhe beim Ligeti im Großen Saal
Das Stück begann mit einem vagen, unfassbaren Grundrauschen, einem Notennebel, aus dem sich allmählich eine erste Motiv-Idee herauslöste. Es folgte ein Gedankenexperiment über Musik als fortlaufende Geschichte, ein Puzzle mit verrätselten Querverweisen ins Gestern und Vorgestern, dabei im Solo-Part brutal schwer zu spielen. Faust gestaltete souverän und bescheiden, spannend und sensibel. Wie sehr diese Musik auch mutmaßliche Ligeti-Ersthörer im Publikum in den Bann ziehen konnte, bewies die neugierige Ruhe im Großen Saal. Weil es genau dann gern immer noch eine Runde radikaler sein darf, kombinierte Faust ans Ende die Streichquartett-Miniatur „Aus der Ferne V“ von Ligetis engem Weggefährten György Kurtág als konsequente Zugabe: noch mehr hochkonzentriertes Wenig, um die auszuhaltende Erfahrung von Stille an sich herum komponiert.
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Interessante Einstimmung darauf war das frühe „Concert Românesc“, eine Volksmusik-Studie Ligetis, als erste kleine Visitenkarte späterer Einzigartigkeit. Mozarts A-Dur-Klavierkonzert – harter Bruch, schon klar – nach der Pause ist dieser Frühwerk-Schublade längst entwachsen, ebenso dessen „Jupiter“-Sinfonie. Beides volljähriger, reifer Mozart. Für diesen Rückblick in die Wiener Klassik hatten das Les-Siècles-Personal den Instrumentenbestand einmal komplett auf historisch passend umgetauscht, tiefer gestimmt und sich (zumindest für das Klavierkonzert) auch noch kurios umgesetzt auf der Bühne. Links und rechts vor die Streicher und den Lagrassa-Hammerflügel Baujahr 1815 des Solisten Alexander Melnikov waren die Bläser platziert.
Les Siécles in der Elbphilharmonie: Der Oha-Effekt einer Tasten-Antiquität kam weniger zum Tragen
Schön für sie, dieser ungewohnte Platz im vordersten Rampenlicht, aber weder unbedingt notwendig noch gesamtklanglich zielführend. So hatte es das liebliche, trockenere und leicht spieldosige Zirpen des Hammerflügels nur noch schwerer, sich virtuos aus seinem Orchesterchen-Umfeld zu erheben. Der Oha-Effekt dieser Tasten-Antiquität, mit der Melnikov apart beeindruckte, aber nicht überwältigte, kam weniger als verdient zum Tragen. Auch bei der „Jupiter“-Sinfonie stand die gut gemeinte Absicht der Überzeugungskraft der Interpretation immer wieder allzu tänzelnd und unstraff plaudernd im Wege. Roths Mozart war zu sehr Charmeur, hier, da und dort kleine Genusspäuschen an schönen Stellen einlegend, um diesen Blickwinkel für durch und durch aufregend zu halten.
Nächstes Les-Siècles-Konzert: 27.9. 20 Uhr: Ligeti Kammerkonzert und Klavierkonzert (Solist: Jean-Frédéric Neuburger) / Mozart Violinkonzert KV 216, „Haffner“-Sinfonie. Am 21.1. dirigiert Roth das Gürzenich-Orchester Köln in einem „inszenierten Konzert“ in der Elbphilharmonie Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“. CDs: Ravel „L’Heure Espagnole“ (harmonia mundi, ca. 9 Euro). Chopin / Rachmaninow „Cello-Sonaten” A. Melnikow / J.-G. Queyras (harmonia mundi, ca. 18 Euro). Strawinsky „Violinkonzert & Kammermusik” mit I. Faust (harmonia mundi, ca. 18 Euro)