Hamburg. Der Mann, der den legendären Jazzclub in Eimsbüttel 1985 aus der Taufe hob, ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Fast jeden Abend saß er auf seinem Stammplatz hinter der Abendkasse. Neben sich seine Frau Heidi, in der Hand ein Glas Sekt und für jeden, der kam, ein offenes Ohr: So kannten die Besucherinnen und Besucher des Birdland ihren Dieter Reichert. Jetzt ist der Mann, der 1985 den Jazzclub an der Gärtnerstraße ins Leben rief, nach langer Krankheit im Alter von 84 Jahren gestorben – und Hamburgs Jazzgemeinde trauert.

Birdland Hamburg: Jazzszene trauert um Gründer Dieter Reichert

Selbst passionierter Saxofonist und Jazzliebhaber, hatte Reichert das Haus an der Gärtnerstraße eigenhändig entworfen. Später sorgte er als Inhaber einer Steinmetz-Firma dafür, dass der Keller ausgeschachtet und der Club dadurch deutlich vergrößert wurde. Was er dabei schuf, war mehr als nur eine weitere Hamburger Bühne für Livemusik. „Dieter ist es zu verdanken, dass viele Jazzmusiker überhaupt erste Schritte machen und Erfahrungen sammeln konnten“, sagt Gitarrist Axel Fidelak, der schon seit den Anfangstagen zu den Birdland-Stammgästen gehörte und dort unzählige Male live gespielt hat. „Er nahm uns ernst, sorgte auf eigene Kosten für professionelle Auftrittsbedingungen, man fühlte sich einfach wertgeschätzt.“

Tatsächlich führte Dieter Reichert einen einzigartigen Jazzclub, bei dem zwar Bebop und Modern Jazz eine Hauptrolle spielten, aber auch Genres wie Swing oder Fusion zu hören waren. Wer die Treppen zum schummrigen Club hinterunterstieg, fand sich in einer anderen Welt wieder, in der die Freude an der Livemusik über allem stand. Ganze Generationen norddeutscher Nachwuchmusikerinnen und -musiker haben sich hier in den Open Sessions ausprobieren können, haben Kontakte geknüpft, Freundschaften geschlossen und in der Praxis erlebt, was sie zuvor etwa an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater in der Theorie gelernt hatten.

Auch Stars wie Chet Baker, Diana Krall und Brad Mehldau spielten im Birdland Hamburg

Zugleich war das Birdland zu den Zeiten von Dieter Reichert keine reine Talentbörse, hier spielten auch internationale Stars wie Chet Baker, Art Blakey, Diana Krall, Brad Mehldau oder Jason Moran. Auf eine Session schauten (unabhängig voneinander) die Brüder Branford und Wynton Marsalis vorbei, auch Saxofonist Kamasi Washington kam im Anschluss an ein Konzert nach Eimsbüttel. Manche von ihnen malte Heidi Reichert, im Hauptberuf Patentanwältin, viele ihrer Bilder schmücken noch heute die Wände des Birdland.

Viel Geld verdienen ließ sich mit dem Club, der etwa 150 Besucher fasst, nie, aber das stand für Dieter Reichert, diesen Mann mit der tiefen Stimme, der offen sagte, wenn ihm einmal etwas nicht gefiel, auch nicht im Vordergrund. Ihm ging es darum, der Vielfalt des Jazz eine Bühne zu geben. In einem Interview erklärte er einmal, das Birdland sei für ihn das, was für andere Leute eine Segelyacht ist: „Etwas, das ich mir einfach gönne.“ Wie sehr er damit auch vielen anderen etwas gönnte, beschreibt Axel Fidelak, wenn er sagt: „Von einem Auftritt im Birdland konnte man lange zehren, es war eine Art Auszeichnung, es motivierte weiterzumachen.“

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Im Jahr 2013 war dann trotzdem (zunächst) Schluss. Dieter Reichert zog sich aus Altersgründen zurück, das Birdland schloss zum 30. Juni. Aber nur bis zum 1. Oktober 2014: Die Reichert-Söhne Ralph und Wolff, die mit dem Club aufgewachsen waren und beide selbst Jazzmusiker sind, hatten übernommen und luden zur Wiedereröffnung. Es dürfte Dieter Reichert sehr glücklich gemacht haben, dass die neben seiner Frau Heidi zweite große Liebe seines Lebens noch einmal aufblühte – und auch die Herausforderungen der Corona-Krise überlebte. Heute hat sich längst wieder ein umfangreiches Konzertprogramm mit internationalen Größen und lokalen Newcomern etabliert.

Mit seinem jahrzehntelangen Engagement hat Dieter Reichert die Hamburger Jazzszene geprägt wie kaum ein anderer. Er wird unvergessen bleiben.