Hamburg. Der Jazz-Saxofonist trat mit seiner Band im Gruenspan auf
Diese Hitze! Kaum auszuhalten. Draußen zeigt das Thermometer gerade mal 20 Grad, aber im Gruenspan kocht die Luft. Nix Klimaanlage, hier wird schon geschwitzt, was die Poren hergeben, bevor Saxofonist Kamasi Washington und seine Band gegen Viertel nach acht die Bühne betreten. „Ist wohl wegen der vielen positiven Vibes so warm hier“ witzelt der Amerikaner, doch eher fragt man sich, ob im Gruenspan wahlweise Strom gespart oder der Getränkeverkauf angekurbelt werden soll. Was auch immer der Grund für die lokale Klimakatastrophe ist, die Spielfreude der luftig gekleideten Akteure bremst sie nicht.
Völlig zurecht gilt Kamasi Washington momentan als der Shootingstar des Jazz, wird bisweilen gar mit John Coltrane verglichen. Dessen von tiefer Spiritualität durchdrungener Jazz dürfte für Washington tatsächlich ein Bezugspunkt sein, doch das völlig freie Spiel, die furiosen Ausbrüche des späten Coltrane stehen bei ihm zumindest derzeit nicht auf der Agenda. Dafür schlägt der 35-Jährige mit sichtbarem Spaß die Brücke vom Jazz zum Funk und Soul. Das Ergebnis ist ein Hochenergie-Sound, der ordentlich in die Beine geht – und im Gruenspan ein ausgesprochen vielfältiges Publikum erreicht. Ob rüstiger Rentner mit um die Hüfte verknoteter Strickjacke oder Vollbart-Hipster im Fred-Perry-Polo: Auf Kamasi Washington können sich derzeit alle einigen, die dem Jazz zugewandt sind.
„The Epic“ heißt das Dreieralbum mit dem der Mann 2015 die internationale Jazzbühne betrat, und epische
Saxofonläufe hat er auch im Gruenspan zu bieten. Schon das Intro ist ein wild pulsierendes Groovemonster, das folgende „Final Thought“ erinnert an die Hochzeit des Fusion Jazz und bei „Space Ship“, ein brandneuer Track, steht plötzlich Gevatter Funk in Gestalt von Keyboarder Brandon Coleman im Mittelpunkt. Was für eine Energie! Gut, dass sich zwischendurch bei der Ballade „Henrietta Our Hero“ etwas durchatmen lässt. Die singt Patrice Quinn, die während des gesamten Konzerts im langen schulterfreien Kleid diskret am Rand tanzt, mit berückend sanfter Stimme. Eine Hommage an Kamasi Washingtons Großmutter ist der Song, an eine Frau, die ihm gezeigt habe, dass es nicht darauf ankomme, was man besitze, sondern was man für andere tue.
Und für andere, sein Publikum also, tut er an diesem Abend eine ganze Menge. Spielt gut 100 Minuten, könnte aber wohl noch stundenlang so weitermachen: den Jazz feiern, den Funk, die seelentröstende Kraft der Musik, das Gemeinschaftsgefühl, das auf der Bühne sehr sichtbar herrscht – nicht umsonst hat Kamasi Washington zu einem erheblichen Teil alte Schulfreunde als Sidemen engagiert. Aber irgendwann ist dann einfach die Luft raus. Nicht aus der Band, wohl aber aus einem Club, in dem an der Bar stibitzte Eiswürfel längst als rasch schmelzende Pulskühler Verwendung finden. Ein in doppelter Hinsicht heißer Abend.