Für den Bildband „Tokyo Jazz Joints“ war ein Fotograf acht Jahre lang in japanischen Bars und Cafés unterwegs. Der Aufwand hat sich gelohnt.
Eine Getränkekarte in einer Bar, das ist normal, klar. Aber eine Musikkarte? Gibt es auch – und zwar in japanischen Jazz Kissas, (Keller-) Lokalen oder Cafés, die Tempeln ähneln, weil in ihnen die Musik geradezu vergöttert wird. Nicht irgendeine Musik natürlich, sondern die von Jazzgrößen wie John Coltrane, Miles Davis, Thelonious Monk und Bud Powell.
Ein betörender Bildband über die große Liebe zum Jazz
Der nordirische Fotograf Philip Arneill wurde während eines längeren Japan-Aufenthalts auf diese Musikbars und -cafés aufmerksam. Und verfiel ihnen. Gemeinsam mit dem Musikjournalisten James Catchpole zog er acht Jahre lang immer wieder durch die Läden, sprach mit den Besitzern über ihre Liebe zum Jazz und hörte ihre Lieblingsalben, trank viele starke Kaffees und noch stärkere Whiskys und vor allem machte er unzählige Fotos von Orten, die vollkommen aus der Zeit gefallen scheinen. Herausgekommen ist mit „Tokyo Jazz Joints“ ein Bildband, der die Kultur der Jazz Kissas eindrucksvoll einfängt.
Immer wieder werden diese Jazz Bars und Cafés auch als Orte des stillen Widerstands beschrieben, frei von sozialen Zwänge und Hierarchien. Das mag prinzipiell stimmen, bedeutet aber nicht, dass in einem Jazz Kissa jeder tun kann, was er will. Von den Besuchern, davon berichten Philip Arneill und James Cachpole auch in ihrem seit März 2020 erscheinenden Podcast zum Thema, wird Respekt gegenüber der Musik erwartet. Wer die aufgelegte Schallplatte (und darum geht es hier, nicht um CDs oder, gottbewahre, Streams) nicht konzentriert anhört, sondern lieber mit Freunden drauflos quatscht oder gar darum bittet, die Anlage leiser zu stellen, muss damit rechnen, hinauskomplimentiert zu werden.
Die High-End-Anlage in der Bar hat den Preis eines Kleinwagens
Aus einem Raum, der, so zeigen es Arneills Fotos, bisweilen einem zugerümpelten Wohnzimmer ähnelt, über und über angefüllt mit Vinylscheiben, Aschenbechern, auf denen die Logos berühmter Jazz-Label prangen, dunkel-hölzernen Bartresen und vergilbten Konzertplakaten an den Wänden. Mittendrin der Besitzer des Ladens an einer High-End-Anlage, die nur für den Preis eines Kleinwagens zu haben ist, manchmal die Augen verzückt geschlossen, vollkommen eingetaucht in die Grooves, die aus den Rillen kommen.
Da gibt es enge Treppen zu schummerigen Kellerclubs zu sehen, Regale voller Videokassetten mit jahrzehntelang zusammengetragen Konzertmitschnitten aus aller Welt, abgewetzte Holzschemel, Flaschenbatterien, ein gerahmtes Autogramm des Pianisten Bill Evans und an eine Toilettentür hat jemand mit dem Edding ein Zitat von Thelonious Monk geschrieben: „Jazz and freedom go hand in hand“.
- Elbjazz Hamburg: Mehr Publikum durch Rock und Pop?
- Neue Alben: Was Specht, Kleiber und Kolibri mit Jazz zu tun haben
- Elbphilharmonie: Ravi Coltrane Quartet – wenn Söhne ihre Eltern stolz machen
Vorfinanziert haben Arneill und Catchpole ihr Herzensprojekt mit einer Crowdfunding-Kampnage, durch die 60.000 Euro zusammenkamen und bei der neben dem Buch auch Extras wie eine geführte Tour durch die Jazz Kissas von Tokio (Preis: 500 Euro, Anreise und Unterkunft nicht inklusive!) im Angebot sind. Als Partner konnten die beiden den Kehrer Verlag in Heidelberg gewinnen, der nun „Tokyo Jazz Joints“ herausgebracht hat, diese sinnliche Reise durch die Welt der japanischen Jazzfans. Eine absolute Bereicherung jeder Jazzbuchsammlung.
Der Podcast: „Tokyo Jazz Joints“ (englischsprachig, bislang mehr als 50 Folgen), auf allen gängigen Portalen zu hören