Hamburg. Karina Canellakis und das NDR Elbphilharmonie Orchester überzeugten mit Werken von Britten, Schostakowitsch und Beethoven.
Was man in den ersten Momenten gestisch vergeigt, bekommt man danach womöglich nicht mehr aufgefangen, falls der erste Eindruck nur der einer uneindeutigen Unsicherheit gewesen sein sollte. Karina Canellakis war vier Jahre lang nicht beim NDR Elbphilharmonie Orchester zu Gast gewesen, eine Zeitspanne, in der sie einiges an Zielstrebigkeit zugelegt hat. Ihr kontraststarkes Programm war aber auch keines, das lauwarmes Irgendwiehineinschummeln zulässt. Und ebenso offensichtlich hat sie keine lähmende Angst vor Stücken mit komplexem Charakter.
Brittens „Sinfonia da Requiem“, ein weiteres seiner Antikriegs-Plädoyers mit Noten, beginnt mit brutalen Paukenschlägen, dunkel unterlegt mit harschen Orchesterakkorden. Hier geht es um Fundamentales, Erschütterndes, Schmerzendes. Diese Musik bohrt sich immer tiefer hinein in Verzweiflung, über der eine tröstende Sonne so bald nicht scheinen wird.
Canellakis hielt die Spannung, und sie hielt es aus, sich im Lacrymosa-Satz an den Abgründen entlang Takt für Takt vorwagen zu müssen. Das Dies irae ließ sie wild, aber in keinem Moment unkontrolliert loswüten; das Requiem-aeternam-Finale gestaltete Canellakis mit ernstem Pathos, als humanistische Anrufung einer höheren Macht. Schwer beladen, das alles, schwer beeindruckend, diese Interpretation.
Elbphilharmonie: Zwei charakterstarke Stücke und ein harter Bruch
Wo Britten war, liegt Schostakowitsch nah. Dessen 1. Cellokonzert, in der Nach-Stalin-Zeit komponiert, braucht einen Interpreten, der trotz des geforderten Solo-Dauereinsatzes nicht schwächelt oder unbedingt „schön“ spielen möchte. Und ein Orchester, das mit jener hineinkomponierten Doppelbödigkeit klarkommt, in der die Dauerschleife des „DSCH“-Monogramm-Motivs mehr als fixe Idee eines Künstler-Egoisten ist, sondern auch gekonnt getarnter Ruf nach politischer Freiheit.
Kian Soltani warf sich mit geradezu brennender Intensität in seinen Part, das Tutti ließ sich von diesem Sog mitziehen, im zweiten Satz sang sich Soltani in den epischen Melodielinien des Cellos die Seele aus dem Leib, schraubte sich in den Flageolett-Passagen einsam in allerhöchste Höhen, bevor das Finale mitsamt Solist sehr Schostakowitsch-typisch noch einmal alles zu geben hat. Hübscher Bonus war Soltanis Bearbeitung eines Themas aus Schostakowitschs Tonspur für den Mantel-und-Degen-Film „Die Hornisse“.
- Karina Canellakis: Durchblick, Drive und klare Ansage-Gesten
- Konzertkritik: Soltani reizt die Akustik der Elbphilharmonie aus
- „Maestro“: Bradley Cooper als Dirigenten-Legende
Danach eine Siebente Beethoven zu setzen, die so licht ist, so luftig und so wienerklassisch leicht daherzukommen hat, das ist schon ein harter, aber anregender Bruch. Strahlendes A-Dur, anmutige Holzbläser, die den Vorhang für den Weg zum ersten Hauptthema mit erhabener Schlichtheit öffnen. Auch Canellakis genoss diese Abwechslung, blieb straff und federnd in der Körpersprache Richtung Orchester. Den zweiten, ernst getragenen Satz enttrauermarschte sie, indem sie das Tempo nicht durchhängen ließ. Im Schlusssatz wäre hin und wieder mehr Trennschärfe in der Balance der Instrumentengruppen schön gewesen, doch auch ohne wurde es ein sehr ordentlicher, klug ungestümer Beethoven.
Das Konzert wird am Sonntag, 11 Uhr, wiederholt. Evtl. Restkarten.