Hamburg. Der Ausnahme-Cellist liefert mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchestra eine eindringliche Schostakowitsch-Interpretation ab.

Die Gabe, Melodien und Töne zu Gesten zu verdichten und damit aus dem Notentext eine echte Klangsprache zu formen: Das hebt die herausragenden von den sehr guten Musikern ab. Kian Soltani gehört zweifelsohne zu diesen Ausnahmewollern, die mehr als nur Könner sind. Der österreichische Cellist persischer Abstammung – 2018 mit dem Bernstein Award des SHMF ausgezeichnet – kehrte jetzt zum Festival zurück und berührte die Besucher im Großen Saal der Elbphilharmonie mit einer eindringlichen Interpretation des ersten Cellokonzerts von Dmitri Schostakowitsch, aufmerksam unterstützt vom Schleswig-Holstein Festival Orchestra unter Manfred Honeck.

Über die atemberaubende Geschwindigkeit und Treffsicherheit, mit der Soltanis Finger über das Griffbrett und immer an den richtigen Platz auf der Saite rasten, staunte man eher nebenbei. Weil Virtuosität bloß ein Mittel ist, um dem Ausdruck der Musik nachzuspüren. Wie so oft hat Dmitri Schostakowitsch auch hier persönliche Botschaften und biografische Bezüge in die Musik eingeschmuggelt. Trotz der vordergründigen Heiterkeit attackiert das Stück seinen Solisten und die Hörer immer wieder mit harten Schlägen der Pauke und schneidenden Dissonanzen, womöglich als Abbild der Brutalität, mit der die Sowjetbürger unter der Stalinherrschaft konfrontiert waren.

Aber es gibt auch Momente der Hoffnung und des Friedens, etwa in einer Flageolett-Passage des Cellos im zweiten Satz, die von Klangtupfern der Celesta beantwortet wird. Wie unglaublich zart die ersten Geigen dort ihre Begleitfäden ausspannen, war einer von vielen Belegen für die Sensibilität und Aufmerksamkeit, mit der Honeck und das junge Festivalorchester dem Solisten begegneten. So ein Pianissimo dürften nur die wenigsten Säle so feinnervig abbilden wie die Elbphilharmonie mit ihrer empfindsamen Akustik.

Honeck verschmilzt das junge Orchester zur Einheit

Nach der Pause reizte Manfred Honeck dann auch die anderen Extreme der Dynamik aus. Bevor sie mit einem Adagio lamentoso ausstirbt, geht die sechste Sinfonie von Tschaikowsky, seine „Pathétique“, mehrfach in die Vollen, vor allem in den knackigen Blechbläser- und Schlagwerksalven, die nach dem dritten Satz einen verfrühten Applausausbruch provozierten.

Ohne Partitur auf dem Pult, aber mit einer ganz klaren Vorstellung im Kopf, führte Honeck das international besetzte Nachwuchsorchester durch die Wechselbäder der Sinfonie, formte sangliche Linien und organische Phrasen, ergründete Tschaikowskys Seelenfinsternis und inszenierte den Schwung des fünfschrittigen Walzers.

Inspiriert vom Energiefluss ihres Dirigenten, wuchsen die rund 120 jungen Musikerinnen und Musiker aus 27 Ländern zu einem exzellenten und hellwachen Klangkörper zusammen, der atmet, fühlt und pulsiert. Die verbindende Kraft dieser Begegnungen im Festivalorchester mitzuerleben, ist jedes Jahr aufs Neue beglückend.