Hamburg. 16.000 wollen „Ein Wintermärchen“ im Großen Saal sehen. Mit herausragender Musik und einer Märchenerzählerin, die zu unterhalten weiß.
Sie ist längst ein Weihnachtsklassiker und zuverlässiger Verkaufsschlager in der Elbphilharmonie: Die Veranstaltung „Ein Wintermärchen“, mit der die Reihe Pro Arte zur Weihnachtssaison den Großen Saal bespielt. Insgesamt achtmal ist das Programm bis zum zweiten Weihnachtstag zu erleben, mehr als 16.000 Menschen wollen es insgesamt sehen: Ein Rekord. Es folgt einem bewährten Muster, alle Jahre wieder. Aktuelle und künftige Stars der Klassik präsentieren eingängige Musik mit mal mehr, mal weniger winterlichem Charakter. Und dazu liest die Schauspielerin Katharina Thalbach Geschichten zur Weihnachtszeit.
Elbphilharmonie Hamburg: „Ein Wintermärchen“ verzaubert mit Vivaldi und Jazz
Der Mix passt auch diesmal, er kommt sehr gut an. Das Konzept vom Arrangeur und Pianisten Christoph Israel funktioniert. Weil er ein Gespür für das richtige Timing, für die Stil- und Stimmungswechsel hat. Die Musikauswahl umfasst zwar ein breites Spektrum, von Vivaldi über Verdi bis zum Jazz, aber die Stücke sind nicht einfach bunt durcheinandergewürfelt, sondern zu einem sinnigen Ablauf verzahnt. Das Programm beginnt eher klassisch und kleinteilig, biegt sanft in Richtung Bigband ab, kehrt noch einmal zur Klassik zurück und groovt sich dann mit Tango-Rhythmen auf die Weihnachtslieder am Ende ein.
Mit dem Belgrade Chamber Orchestra hat Christoph Israel ein flexibles Kammerorchester an der Seite, das diese Stilwandel geschmeidig mitmacht. Er selbst leitet die jazzigen Nummern, das klassische Repertoire übernimmt Daniel Geiss, der buchstäblich mit links dirigiert.
„Ein Wintermärchen“ sorgt für Weihnachtsstimmung in Hamburger Elbphilharmonie
So wie im Schlusssatz aus Mozarts „Haffner-Sinfonie“, mit dem das musikalische Wintermärchen beginnt. Dieses Presto wirbelt lebendig, flott, delikat und manchmal auch knackig. Ja, das könnte man sicher noch eine Spur aufregender und ruppiger interpretieren. Aber darum geht’s hier nicht. Das Programm will schließlich nicht aufrütteln, sondern eine idyllische Atmosphäre schaffen. Was völlig legitim ist und über weite Strecken auch gelingt.
Wenn die junge Sopranistin Elisabeth Breuer – in der Premiere am Nachmittag kurzfristig für ihre Kollegin Anna-Lena Elbert eingesprungen – Händels Gloria mit kristallklarem Timbre singt. Wenn der Oboist Albrecht Mayer, im christbaumkugelroten Sakko, zwei Sätze aus einem Vivaldi-Konzert bläst und dabei selbst in den virtuosen Kaskaden so souverän und sicher wirkt, als hätte das alles nichts mit Mühe und Üben zu tun. Oder wenn die Celli des Belgrade Chamber Orchestra mit den Stimmen von Fagott und Horn verschmelzen, in den schmachtenden Melodien aus dem Vorspiel zu Verdis Oper „La Traviata“.
Katharina Thalbach auch 2023 wieder für „Ein Wintermärchen“ in Hamburg dabei
Das klingt herrlich und auf Dauer fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Aber – auch das ist gut getimt – gerade wenn man denkt, och, jetzt könnte das Ganze vielleicht doch mal etwas mehr Biss vertragen, grätscht das Akkordeon von Martynas Levickis rein. Und liefert genau diesen etwas schärferen, kantigen Akzent. Mit dem New York Tango aus dem Opale Concerto von Richard Galliano bringt Levickis an der richtigen Stelle ein paar rockige Rhythmen ins Spiel. Ein Höhepunkt des Programms, auch weil das Stück ein bisschen länger ist und damit einen größeren Spannungsbogen entstehen lässt.
- Elbphilharmonie: Igor Levit und Christian Thielemann – Man brahmst nur mit dem Herzen gut
- Elbphilharmonie: Wenn Ingo Metzmacher mit geballter Faust den Takt ankurbelt
- Mendelssohns „Elias“ in der Elbphilharmonie: Dirigent voll hypnotischer Energie
Abgesehen von diesem musikalischen Ausrufezeichen, ist natürlich vor allem Katharina Thalbach wieder für die raueren Sounds zuständig. Mit ihrer einmaligen, herrlich kratzigen Stimme, die so klingt, als hätte sie vor der Vorstellung noch schnell ein paar Nadeln vom Tannenbaum links auf der Bühne abgepult, um damit zu gurgeln.
Katharina Thalbach als Märchenerzählerin: Eine Passage missfällt
Ihr Timbre ist ein Knaller. Aber natürlich nicht alles. Thalbach rezitiert und spielt einfach mitreißend und mit einem großen Repertoire an Nuancen und Stimmcharakteren. Witzig, wie sie als erkälteter Weihnachtssänger röchelt, hustet und krächzt, wie sie manche Passagen mit ihrem Rotzgörencharme wegnuschelt – und wie sie dann im nächsten Moment umschaltet und ganz zauberhaft vom Schokoladenweihnachtsmann erzählt, der unsterblich in die Schokoladenweihnachtsfrau vom Regal gegenüber verschossen ist. Total sweet. Verliebter kann man den Namen „Lindt“ kaum aussprechen.
Dieses kleine Süßwarenladen-Märchen der Autorin Keto von Waberer ist eine von drei Geschichten, die Thalbach liest. Alle eigen, alle auf ihre Art erfrischend schräg. Die reine Freude, wirklich. Bis auf eine Passage, in der die Schauspielerin vermeintliche Gesten der Gebärdensprache ins Groteske überzeichnet. Unnötig, auch wenn‘s dafür in der Premiere viele Lacher gibt.
Katharina Thalbach singt Weihnachtslieder in der Elbphilharmonie in Hamburg
Schön dagegen, dass Katharina Thalbach nicht nur spricht, sondern auch singt. Ihre natürlich sehr eigen gestaltete Version von „Morgen, Kinder, wird’s was geben“ läutet das Finale ein. Und da wird’s dann richtig weihnachtlich. Mit bekannten Liedern, von Christoph Israel in geschmackvolle Orchesterarrangements verpackt. „Fröhliche Weihnacht überall“, „Engel auf den Feldern singen“. Die Sopranistin Elisabeth Breuer singt hier verstärkt, mit Mikrofon. Israel bettet ihre Melodien auf weiche Posaunenklänge und sanfte Streicher, manchmal setzt er noch ein goldenes Schleifchen – Pling! – vom Glockenspiel drauf. Allerliebst.
Ein bisschen Kitsch darf schon sein. Und manchmal auch ein bisschen mehr: Bei „Stille Nacht“ kommen Albrecht Mayer und Martynas Levickis dazu, Oboe und Akkordeon stimmen in den Gesang mit ein. Heile-Welt-Feeling, wenigstens für den Moment. Ohne Nachrichten, ohne Alltagsstress und Streit. Viele Menschen im Saal sind sichtlich berührt. Auch in der Zugabe. Sie vereint das Publikum in einem großen Elbphilharmonie-Chor: Für das Lied „O du fröhliche“, das eine gnadenbringende Weihnachtszeit besingt. Man muss kein gläubiger Christ sein, um sich da wiederzufinden.