Hamburg. Bevor Bauarbeiten in Planung gehen können, gehen jetzt archäologische Voruntersuchungen voran. Was Experten bereits gefunden haben.

Wer bis vor Kurzem an dem Joseph-Carlebach-Platz vorbeikam, musste schon genau hinschauen, um das Mosaik der Künstlerin Margrit Kahl zu erkennen. In teils breiten, teils feinen Linien zeichnet es den Grundriss eines Gebäudes nach, das hier einmal stand: der Bornplatzsynagoge. 1904 wurde sie gebaut, 1906 eingeweiht, 1938 in der Reichspogromnacht geschändet und 1939/40 zwangsweise bis auf die Grundmauern abgerissen. Allerdings war sie zur Gänze unterkellert. Dort warf man damals Schutt und Bauteile hinein.

Laut einem Beschluss des Hamburger Senats, einem Wunsch der Jüdischen Gemeinde in Hamburg folgend, soll die Bornplatzsynagoge wieder aufgebaut werden. Im Vorfeld eines Architekturwettbewerbs gilt es erst einmal zu schauen, was hier noch so alles im Boden schlummert. Und an der Stelle kommen Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg und Landesarchäologe, und sein Team um den Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa ins Spiel. Bis zum 4. Januar 2024 führen sie auf dem Platz eine archäologische Voruntersuchung durch.

Bornplatzsynagoge Hamburg: Vor Wiederaufbau finden Grabungen in Eimsbüttel statt

Suchowa steht in einem von vier Grabungsfeldern, sogenannten „Schnitten“, an neuralgischen Stellen, wo man sich an Kreuzpunkten mehrerer Wände Erkenntnisse erhofft. Bodenschichten sind erkennbar, von Suchowa gelb markiert. Auf einem Tisch und an einer Wand hat er fein säuberlich die Fundteile verteilt. Pilaster aus rotem Sandstein, mutmaßlich aus dem Weserbergland, lehnen an der Wand. An den Fen­sterstürzen erkennt man, dass sie mit Metallstäben zusammengesteckt waren. Eine Kellertür aus mit Eisen beschlagenem Holz lehnt daneben.

Diese Aufnahme zeigt den Grundriss der Bornplatzsynagoge mit den vier Grabungsschnitten.
Diese Aufnahme zeigt den Grundriss der Bornplatzsynagoge mit den vier Grabungsschnitten. © FHH, Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung, dl-de/by-2-0, dop20rgb_32_565_5935_1_hh_2021. | FHH, Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung, dl-de/by-2-0, dop20rgb_32_565_5935_1_hh_2021.

„Mich haben die Fenster mit dem bunten Glas darin am meisten berührt. Da entsteht ein anderes Raumgefühl“, sagt Kay-Peter Suchowa. „Die Synagoge muss einmal sehr prachtvoll gewesen sein.“ Daneben liegen Zierfliesen und glasierte Dachpfannen. In einem anderen Schnitt ist ein gut erhaltenes Kapitell erkennbar und ein mit Villeroy&Boch-Fliesen verziertes Bodenmosaik. Das Mosaik von Margrit Kahl wurde für die Voruntersuchung an einigen Stellen vorübergehend entfernt und sicher gelagert. Nach Beendigung der Arbeiten soll es wieder vollständig verlegt werden. Denn es ist ein Denkmal im öffentlichen Raum.

Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa in einem Schnitt auf dem Gelände der Bornplatzsynagoge.
Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa in einem Schnitt auf dem Gelände der Bornplatzsynagoge. © Funke Foto Services | Roland Magunia

Bornplatzsynagoge Hamburg: Frage um Mosaik noch nicht geklärt

Für Rainer-Maria Weiss ist das Projekt in erster Linie nicht aus wissenschaftlichen Gründen interessant. „Die erste Bebauung war die Synagoge 1904. Später war es ein Gedenkort. Das ist ein Vorteil für uns Archäologen, wir müssen nicht diskutieren, was wir hier finden. Das ist alles bekannt.“ Inhaltlich ist es zugleich das bedeutendste Projekt seit Langem für den Landesarchäologen. „Die ehemalige Synagoge am Bornplatz gilt als zweitgrößte Synagoge in Deutschland. Das ist das Tollste, mit dem wir uns seit Langem beschäftigen.“

Landesarchäologe und Museumsdirektor Rainer-Maria Weiss vor Funden der zerstörten Bornplatzsynagoge.
Landesarchäologe und Museumsdirektor Rainer-Maria Weiss vor Funden der zerstörten Bornplatzsynagoge. © Funke Foto Services | Roland Magunia

Aus mehreren Gründen steht die Synagoge im Zentrum eines noch offenen Prozesses. Zum einen ist unklar, was nach dem Wettbewerb mit dem Mosaik geschehen wird. Außerdem sprechen einige Befürworter von einem Neubau, andere von einer dezidierten Rekonstruktion der alten Synagoge, die über 30 Jahre das religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Zentrum der Jüdischen Gemeinde in Hamburg war. Doch das würde bedeuten, dass das jetzige Denkmal verschwinden würde.

„Einige sagen, man würde eine störende, erinnernde Wunde damit heilen und täte so, als hätte es die Reichs­pogromnacht nicht gegeben“, erläutert Rainer-Maria Weiss. Seine Aufgabe ist es, in den Auftrag an die Architekten hineinzuschreiben, dass sie hier noch – in den intakten Kellern – viel Substanz vorfinden, die es in ihren Vorschlägen zu berücksichtigen gilt. „Da stellt sich die Frage: Wie bringt man diese Bauspolien in das neue Gebäude mit ein?“ Wenn Weiss und Suchowa ihre Arbeiten abgeschlossen haben, werden sie den weiteren Prozess im Bau begleiten.

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Beide erleben es täglich, dass Menschen aus dem Stadtteil durch den Zaun der Absperrung schauen, neugierig sind, sich informieren wollen. Manche wollen die Steine anfassen, die für ihre Vorfahren eine so große Bedeutung hatten. „Wenn ich mir vorstelle, wir stehen vor dieser Kellertür, hinter der sich Anwohner vor dem SA-Mob und Luftangriffen versucht haben zu schützen, ist das schon beklemmend“, sagt Rainer-Maria Weiss. „Die historische Aufladung ist emotional schon sehr berührend.“ Auch dies macht dieses Projekt zu einem besonderen in Hamburg.