Hamburg. Harald Seligmann war ein „mustergültiger Deutscher“ – und endete im Gas. Projekt schafft Menschen wie ihm in Hamburg Gedenken.
Es ist eine Art feierliches Jubiläum: Am Mittwochnachmittag wurde der 7000. Stolperstein in Hamburg vor dem Hotel Vier Jahreszeiten verlegt. Er erinnert an den früheren Nachtportier des Luxushotels, Harald Seligmann. Das Projekt wurde 1992 von dem Künstler Gunter Demnig gegründet. Mittlerweile sind die Stolpersteine in ganz Europa verteilt – seit 2002 auch in Hamburg. Die Steine sollen an Opfer des Nationalsozialismus erinnern und werden stets vor deren letztem Wohnort verlegt.
„Die Stolpersteine sollen uns immer an eine Frage erinnern: Wie konnten Menschen nur diese schrecklichen Verbrechen an ihren Nachbarn zulassen?“, sagte Carola Veit, Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, bei der Verlegung. Eines dieser Schicksale traf Harald Seligmann. Ab 1925 arbeitete er als Nachtportier im Vier Jahreszeiten. Zuvor war er als Marinesoldat im Ersten Weltkrieg in Kiel stationiert. Als er 1915 eine Katholikin heiratete, trat er zum katholischen Glauben über. Nach den Nürnberger Rassengesetzen 1935 galt Seligmann dennoch als Jude. Das war auch der Grund für seine Entlassung im März 1938.
Gedenken: Portier war ein „mustergültiger Deutscher“ – und endete im Gas
„Für den eigentlichen mustergültigen Deutschen, der sowohl als Soldat gedient hat, als auch Jahre lang berufstätig war, bedeutete die Entlassung und Arbeitslosigkeit eine Demütigung“, sagte Herbert Dierks, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der die Geschichte von Harald Seligmann recherchiert hat. Dessen Frau musste eine Gastwirtschaft eröffnen, um das Studium ihres Sohnes zu finanzieren. Jedoch bekam sie die dafür nötige Konzession nur, als sie sich von ihrem Mann scheiden ließ. Die Familie pflegte auch nach der Scheidung weiter ein freundschaftliches Verhältnis. Im März 1939 wurde Seligmann festgenommen und zu zwei Jahren Haft verurteilt. Dem nun unverheirateten Paar wurde „Rassenschande“ vorgeworfen.
Als er seine Strafe abgesessen hatte, kam Harald Seligmann nicht frei, sondern wurde in das Konzentrationslager Neuengamme verlegt. Er wurde im Sommer 1942 in der NS-Euthanasie Bernburg durch Gas ermordet. Auch sein Sohn wurde nach mehreren Verhaftungen wegen seiner kritischen Einstellung zu Politik und Krieg 1945 in Neuengamme getötet.
Wie dem Erfinder der Stolpersteine die Idee kam
Mit seiner Kunst will Gunter Demnig all dieser Menschen gedenken, die ein Schicksal wie das von Harald Seligmann erleiden mussten. Symbolisch sollen die Steine auf die Verbrechen in der NS-Zeit aufmerksam machen. Die Idee für das Projekt kam Demnig in Köln, als er dort mit einer Farbspur an die Deportationswege der Sinti und Roma erinnern wollte. Als diese ein paar Jahre später durch einen Messingschriftzug ersetzt wurde, sprach ihn eine Frau an und bezweifelte, dass die sogenannten „Zigeuner“ in ihrer Gegend gelebt hätten. „Mir ist aufgefallen, dass die Menschen in einer Stadt wie Köln, mit fast nur Katholiken, gar nicht wissen, was in ihrer Nachbarschaft passiert ist. Und das müssen wir ändern“, so Gunter Demnig.
Die Stolpersteine sollen dem Versuch der Nazis entgegenwirken, aus Menschen nur Zahlen zu machen und sie rücksichtslos zu vernichten. Sie geben den Menschen dort, wo diese einst gelebt haben, ihren Namen zurück. Außerdem sollen die Steine die Menschen innehalten lassen. Das Stolpern stehe laut dem Künstler doppeldeutig dafür, dass man mit den Gedanken hängen bleibt.
Stoplersteine: Hamburg stellt sich der Verklärung des Nationalsozialismus entgegen
Zunächst arbeitete Demnig allein, mittlerweile hat er ein Team von 16 Leuten. „Ich dachte am Anfang immer, mit der Zeit wird das bestimmt weniger. In Städten wie Neustadt ist schon für jeden ermordeten Juden ein Stein verlegt worden. Ich dachte, da ist bald Schluss, aber im Gegenteil. Es werden immer mehr. Ich musste in den letzten Wochen zwei neue Werkstätten aufmachen“, erzählt der Künstler.
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Carola Veit nutzt die Veranstaltung, um auch auf aktuelle Politik einzugehen. Die Stadt Hamburg setzte sich der Verklärung des Nationalsozialismus entgegen. Es sei ein Zeichen, dass es bereits 7000 Stolpersteine in der Hansestadt gebe. „Unser Dank gilt ebenfalls dem Hotel Vier Jahreszeiten, das sich nicht vor seiner Vergangenheit verschließt, wie es so viele andere Unternehmen in Hamburg tun“, sagte die Präsidentin der Bürgerschaft. Sie sprach außerdem über die immer stärker werdende Rechtswelle der Wähler. Rund 20 Prozent der Jugendlichen gäben an, rechts zu wählen. „Aber wenn es 20 Prozent sind, wo bleiben dann die restlichen 80? Ein Appell an die Demokratie ist es, wählen zu gehen. Schweigend zusehen, ist keine Lösung. Demokratie braucht keine Alternative“. Schon im Nationalsozialismus hätten die allermeisten Menschen bloß still danebengesessen. So etwas dürfe nicht noch einmal vorkommen.
Bei der Verlegung waren am Mittwoch auch Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Phillip Stricharz, dabei. Viele der Anwesenden legten Blumen auf dem Stolperstein ab. Am Ende gab es eine Gedenkminute für die aktuellen Opfer des Nahost-Konflikts.