Hamburg. Valeska Gert floh vor den Nazis – als sie zurückkam, war sie vergessen. Ein Tanz-Theater-Projekt im English Theatre in Hamburg.

Tanzen: Ob mit den Armen schunkeln, mit den Füßen von links nach rechts stampfen oder Wellen mit dem Körper nachzeichnen – für viele ist Tanzen rein positiv konnotiert. Ein Gefühl des Fallenlassens, der Freiheit. Doch für Valeska Gert, geboren im Jahr 1892 in Berlin, war es viel mehr als das – sie tanzte das Untanzbare auf den Bühnen Deutschlands: Den Tod, die Geburt, einen Orgasmus. Mit ihren einzigartigen, grotesken Auftritten wurde sie berühmt. Bis sie vor den Nazis fliehen musste.

Zu Ehren der vergessenen jüdischen Tänzerin hat das vierköpfige Team, bestehend aus der israelischen Tänzerin Shirly Barbie, Sängerin Stella Jürgensen, Trompeter Frank London und Pianist Shai Bachar, das Tanz-Theater-Projekt „Ich bin eine Hexe“ inszeniert. Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage traten sie am Sonntag im English Theatre in Hamburg auf.

Jüdische Kulturtage Hamburg: Valeska Gert faszinierte das Publikum

Valeska Gert hat das deutsche Publikum in den 1920er-Jahren fasziniert – als Ausdruckstänzerin revolutionierte sie den Tanz, spielte mit ihrer Stimme, schockte mit ihrer grotesken Art. 1933 floh die jüdische Künstlerin in die USA und eröffnete dort den Nachtclub Beggar‘s Bar in New York. 1947 kehrte sie nach Berlin zurück: Doch ihre Heimat und auch ihre Karriere waren zertrümmert, ihr Name war vergessen.

In Kampen auf Sylt eröffnete sie den Club Ziegenstall – ein bizarres Lokal. „Gäste sind wie Ziegen – sie werden gemolken und meckern“, soll dort zu lesen gewesen sein. 1978 verstarb sie und hinterließ ein Vermögen von über zwei Millionen Mark. Den Club überließ sie ihrem „guten Freund“ und Journalisten Werner Höfer – ein Mann, der ihr bis zu ihrem Tod seine Nazi-Vergangenheit verschwiegen hatte. Ihren letzten Wunsch, die Räumlichkeiten des Clubs einem Tierheim zu überlassen, missachtete er. Stattdessen ließ er es abreißen, um ein lukratives Mehrfamilienhaus bauen zu lassen.

Israelische Tänzerin Shirly Barbie fordert die Theatergänger

So tragisch ihr Leben als Künstlerin verlaufen ist, so schön und wichtig ist es, dass ihr Geist am Sonntagabend auf der Bühne des English Theatres zum Leben erweckt wird. Jürgensen liest das Leben Valeska Gerts in Ich-Perspektive vor – eine Zusammenstellung aus Aussagen von ihr in Publikumsgesprächen sowie Antworten auf Interviewfragen. Auch von Gert gedichtete Lieder singt sie. Zwischendurch wirft London Kommentar-Schnipsel auf Englisch in den Raum, entnommen aus Zeitungsartikeln über sie.

Barbie übernimmt die tänzerische Darstellung Gerts: In weißer Gesichtsschminke und mit knallrotem Lippenstift bringt sie Bewegungen hervor, die (über-)fordern, die schrecklich und schön zugleich anzusehen sind. Sie verrenkt ihren Rücken in exorzistischer Weise, streckt die Zunge raus, verteilt Mittelfinger und Luftküsse ans Publikum. Barbie tritt sehr nahe an das Publikum heran, welches keinen Ton von sich gibt – Gänsehaut und fast schon Schockstarre machen sich breit.

Jüdische Kulturtage Hamburg: Zweite Vorstellung der Tanz-Theater-Performance

Eine Darbietung, die sowohl aufgrund des Inhalts als auch aufgrund der Performance schwer auf der Brust liegt. Und fasziniert. Es ist erst die zweite Vorstellung, zuvor sind die vier im Rahmen der Jüdischen Woche in Dresden einmal aufgetreten. Ein großer Wunsch des Teams wäre es, die Beggar‘s Bar in New York ausfindig zu machen und das Tanz-Theater-Projekt dort vorzuführen.

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Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage finden noch bis zum 10. Dezember verschiedenste Veranstaltungen statt. Das Programm ist online unter juedischekulturtage.hamburg zu finden. Die israelische Tänzerin Barbie fliegt am Dienstag zurück in ihre Heimat. Wie sie im Publikumsgespräch verrät, glaubt sie fest daran, dass die Welt durch Kunst geeint werden kann.