„Alles Licht, das wir nicht sehen“ gibt es jetzt als Blockbuster-Schinken mit viel Nazi-Fett und Résistance-Schmalz. Na ja.
Es ist leicht, diesen Vierteiler nicht zu mögen. Dabei ist die Netflix-Miniserie „Alles Licht, das wir nicht sehen“ doch eigentlich opulent und spannend inszeniert. Außerdem ist diese Erzählung über Moral, Liebe und Durchhalten, über den Sieg gegen das Böse ja auch historisches Anschauungsmaterial. Ein großes Menschheitsverbrechen, perfekt in eine Action-Story verpackt: Da sind die Kids und die, die keine mehr sind, vielleicht bereit dafür, etwas aus der Geschichte zu lernen.
Anthony Doerrs 2014 erschienener und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter Roman „Alles Licht, das wir nicht sehen“ ist als Vorlage der Netflix-Novität im Prinzip genau das. Die Vorlage zu einem knapp vierstündigen, dramatischen Blockbuster-Schinken mit viel Nazi-Fett und Résistance-Schmalz. Da musste Hollywood (Regie: Shawn Levy, Drehbuch: Steven Knight) nur noch verwandeln – ein Elfmeter quasi. Die Geschichte der blinden Französin Marie-Laure, die über das Radio die Bomben der amerikanischen Armee an genau die richtigen Stellen der bretonischen Stadt Saint-Malo dirigiert, und des Wehrmachtssoldaten Werner, der den Feindsender eliminieren soll, stellte den menschlichen Aspekt des schlimmen Kampfes um die Befreiung Europas von deutscher Gewaltherrschaft in den Mittelpunkt.
Lars Eidinger: „Alles Licht, das wir nicht sehen“ – Suche nach dem magischen Diamanten
Angereichert war der Stoff mit einem fantastischen Erzählstrang. Der hohe SS-Mann Reinhold von Rumpel streunt im schicksalsträchtigen Jahr 1944 mit teutonischem Überhass durch die pittoreske Küstenstadt, auf der Suche nach einem magischen Diamanten, der ihm das Leben retten soll. Praktischerweise ist der Edel-Klunker zuletzt im Besitz von Marie-Laures Vater gewesen. So hat der Aggressor von jenseits des Rheins gleich zwei Gründe, die Résistance in Saint-Malo aufzuspüren.
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Es gab in diesem Jahr mit „Transatlantic“ bereits eine Netflix-Serie, die sich dem französischen Widerstand gegen die deutschen Besetzer widmete. Hinter dem gelungenen Siebenteiler „Transatlantic“ stand die in Berlin lebende US-Amerikanerin Anna Winger, die Hollywood-Entertainment in den historisch verbrieften Stoff um die Rettung deutscher Flüchtlinge vor dem NS-Regime brachte. Bei „Alles Licht, das wir nicht sehen“ fehlt das reale Geschehen. Dafür wird die Unterhaltsamkeit auf die Spitze getrieben.
Lars Eidinger als todkranker Übermensch
Dafür muss man dann also Bereitschaft mitbringen. Vor allem für Lars Eidingers voll ausgespielten Super-Übermenschen mit Todkrankheit von Rumpel, dessen Zynismus keine Grenzen kennt. Nazi halt: Austern schlürfen und Leute erschießen, das sind vitalisierende Elemente für das Ultraböse im Höllenschlund der Welt. Immerzu fliegen Bomben. Es gibt auch einen guten Deutschen in diesem Indianer-Jones-mäßigen germanischen Gruselkabinett in sattesten Farben, den Waisenjungen Werner, der ein Genie am Draht ist und innerlich nicht mal mehr zerrissen.
Er weiß natürlich, dass sein Land ganz falsch abgebogen ist, und moralisch bleibt er gemäß der zitternden Vorgabe seiner Schwester auf derselben „Frequenz“, als die SS ihn ins Nazi-Drill-Camp für die arische Elite („Napola“) steckt. Louis Hofmann („Dark“) spielt Werner mit, sagen wir mal: viel Leidenschaft, Aria Mia Loberti sein blindes Herzblatt Marie-Laure ebenso.
Lars Eidinger gibt den Klischee-Nazi
Es wird wohl so sein, dass man sich als Kulturkonsument derzeit für Daniel Kehlmanns ebenfalls Plot-getriebene, dabei aber komische Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit entschieden hat. Der filmisch angelegte Roman „Lichtspiel“ reicht uns gerade vollkommen, auch in seiner Grellheit. Derart versorgt, nervt dann einfach der lederbehandschuhte Eidinger in „Alles Licht, das wir nicht sehen“ (an dessen Allpräsenz man sich mittlerweile gewöhnt hat, er ist ein toller Schauspieler, seine Deichkind-Videos sind famos), der mit sagenhaft dramatischem Filmscore im Hintergrund den Klischee-Nazi gibt.
Viele SS-Männer in „Alles Licht, das wir nicht sehen“ werden von Deutschen (Jakob Diehl, Bernd Hölscher) gespielt, aus ihren Mündern tönt hartes Englisch. Mark Ruffalo als Marie-Laures Vater Daniel LeBlanc und Hugh Laurie als ihr Onkel Etienne sind der Köder fürs internationale Publikum. Retten können sie diese Miniserie nicht. Bei aller (fragwürdiger) Unterhaltsamkeit will mal sich als Zuschauer doch ein wenig mehr fordern lassen.
Wobei: Gefordert wird man ja. Nur halt anders als gewünscht. Die Nazi-Herrschaft war kein Märchen, auch nicht ein düsteres.
„Alles Licht, das wir nicht sehen“ ist ab 2.11. auf Netflix abrufbar.