Deutsche Serien schlafften ab. Doch transatlantische Verbindungen helfen, klassische historische Themen auch – und Moritz Bleibtreu.
Geht es Ihnen auch so? Netflix rauscht nur noch so durch, nichts bleibt hängen. Konfektionsware, sieht man von Jetzt-schon-Klassikern wie der Nahost-Action „Fauda“ oder dem englischen Gang-Epos „Top Boy“ ab. An Mainstreamerfolgen wie „Stranger Things“ und „Wednesday“ mangelt es dem Streaming-Giganten sowieso.
Man wäre als Abonnent allerdings schon dankbar für jede fesselnde, top dargebotene Geschichte, muss natürlich nicht mal der massentaugliche Überhit sein. Und dann, warum nicht, doch auch mal wieder aus deutscher Produktion. Was da zuletzt kam, war eher egal bis peinlich, unambitioniert und jedenfalls ein Rückfall in alte Zeiten.
Es ist Besserung in Sicht: Der ab 7. April abrufbare historische Siebenteiler „Transatlantic“ ist gut geworden und eine deutsch-französische Koproduktion. Er erzählt, mit den Mitteln der Fiktion, die wahre Geschichte des Emergency Rescue Committees. Das Flüchtlingsnetzwerk sorgte dafür, dass bis 1942 etwa 2000 europäische Intellektuelle und Künstler über Südfrankreich vor den Nazis fliehen konnten.
Netflix-Serie „Transatlantic“: Nazis gehen international immer
Ein Stoff der Kategorie „International vermarktbar“ also – was Deutschland angeht, gehen Kalter Krieg und Nationalsozialismus praktisch immer. Mit den Showrunnern Anna Winger („Unorthodox“, „Deutschland 83“) und Daniel Hendler, zwei in Berlin ansässigen Amerikanern, ist Serien-Expertise aus Übersee verbürgt. Das merkt man dem Mehrteiler an. Ohne Amerikaner kriegen es die Deutschen, scheint’s, derzeit nicht hin.
Basierend auf Julie Orringers Roman „The Flight Portfolio“, ist „Transatlantic” eine schön fotografierte Erzählung, die die historischen Vorgänge als Mischung aus Thriller und Hollywood-Melodram à la „Casablanca“ erzählt. Was die Macher an dem Stoff gereizt hat, ist offensichtlich.
Da wäre zum einen die Heldengeschichte der historischen Figuren, allen voran die Varian Frys, den ein Dokumentarfilm mal als „The Artist’s Schindler“ bezeichnete. Der amerikanische Journalist war ab 1940 in Marseille, um im nicht besetzten Teil Frankreichs den dort gestrandeten oft jüdischen, im Dritten Reich verfolgten Künstlern und Denkern die Ausreise zu ermöglichen.
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Vichy-Kollaborateure waren die mächtigen Gegner Frys, der auf offizielle Unterstützung aus seiner Heimat zunächst nicht hoffen konnte. Das Bemühen um Ausreise-Visa nach New York war eine langwierige Angelegenheit, Amerika verhielt sich, als Hitler Europa längst mit seinen Truppen überzog, lange neutral. In „Transatlantic“ sind es, wie im wirklichen Leben, dennoch Abgesandte der Weltmacht, die den Europäern zu Hilfe eilen.
„Transatlantic“: Moritz Bleibtreu spielt Walter Benjamin
Sowohl Fry (Cory Michael Smith) als auch seine Mitstreiter Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs) und Albert Hirschmann (Lucas Englander) werden bei Netflix zu den mutigen, starken Figuren mit ungebrochenem Widerstandsgeist, die sie im realen Leben wohl tatsächlich waren. Die Serie folgt überwiegend den Regeln des Suspense, weil das Versteckspiel vor dem Regime, weil die Arbeit des Emergency Rescue Committees eine riskante Angelegenheit war. Der Arm der Nazis reichte bis ans Mittelmeer. Deportationen, gar NS-Todesfabriken sind in der Zeit, in der „Transatlantic“ spielt, dennoch mehr eine Ahnung als schon verbriefte Realität.
Die zweite Folge trägt zur Freude aller Walter-Benjamin-Leser den Titel „Der Engel der Geschichte“ und führt auch für alle Unkundigen den Berliner Meisterdenker als Hasch rauchenden Super-VIP der deutschen Geistes-Elite in die Handlung ein. Sein tragischer Tod in den Pyrenäen setzt, gemeinsam mit der unentwegt rauchenden Hannah Arendt (allerdings nur Nikotin) und ihren gravitätischen Sentenzen („Es ist nicht unsere Sprache, die verrückt geworden ist“), den ernsten Ton dieser großen Erzählung über den Verlust der Heimat.
Neue Netflixserie „Transatlantic“: Bizarre Szenen am Pool
Darüber hinaus wird der Nazi-Grusel, werden die dunklen Zeiten Europas von südfranzösischer Helligkeit kontrastiert. Im Angesicht des eliminatorischen deutschen Wahns wirken die Szenen am Pool einer Villa und bei den Abendgesellschaften, in der sich die zwischen Fatalismus und Aufbruch schwankenden Migranten begegnen, mal bizarr, mal komisch – das Drehbuch schreibt Maler Max Ernst (Alexander Fehling), Satiriker Walter Mehring (Jonas Nay) und Walter Benjamin (Moritz Bleibtreu) ein paar Szenen in ihre Auftritte, die dem Plot seine Schwere nehmen.
Die Chagalls, Peggy Guggenheim (Jodhi May) als kunstsammelnde Wahleuropäerin, Marcel Duchamp, André Breton – die Elite des Kontinents, die bereits in Amerika lebende Emigranten wie Thomas Mann von Varian Fry über den Ozean holen lassen wollte, hat in „Transatlantic“ ihren Auftritt. In den hervorragend geschriebenen Dialogen teilen sich den Zuschauern die Bedrängnisse und die Schicksalhaftigkeit der Zeit mit.
Banalität des Guten: Der Einsatz für das Richtige in einer Welt auf Irrwegen
Dass jeder hier auftretende SS-Mann, dass wahrscheinlich auch die Vichy-Kollaborateure klischiert sind, stört nicht weiter: Sie sind Abziehbilder des Bösen, gegen das die Serie die vielschichtige dramatische Banalität des Guten stellt. „Transatlantic“ erzählt von den Liebesgeschichten der Fluchthelfer, zum Beispiel der heimlichen Liebe Frys zu einem ebenfalls in Marseille agierenden Zionisten.
Der internationale Cast überzeugt; Corey Stoll („House of Cards“) als US-Konsul Patterson verkörpert angemessen zynisch die weltanschaulich sich im Blindflug befindliche Version Amerikas: Immerhin sind die Nazis keine Kommunisten und halten es mit der Marktwirtschaft. „Transatlantic“ ist eine gelungene Serie, die vom Einsatz für das Richtige in einer Welt auf Irrwegen berichtet und von denen, die gerade noch so davonkommen.