Hamburg. Abendblatt-Redakteurin Sophie Laufer war ein riesiger „Tintenherz“-Fan. Jetzt hat sie den neuen Band gelesen. Ein Lektürebericht.

Ich gebe zu, leicht ist mir der Einstieg in den vierten Band der „Tintenwelt“-Reihe nicht gefallen. Zu lange war es her, dass ich den letzten Teil gelesen hatte. Zu sehr waren die Erinnerungen an die Geschichten der ersten drei Bücher in meinem Gedächtnis verblasst. Ich brauchte rund 100 Seiten, um wieder richtig in die Welt von Staubfinger, Meggie und Mo einzutauchen.

Das Buch versucht, an den letzten „Tintenwelt“-Band nahtlos anzuschließen. Wenn man nur kurz zuvor die anderen Bücher gelesen hat, ist das eigentlich kein Problem. Etwas schwieriger wird es, wenn das schon eine Weile her ist: 20 Jahre, jedenfalls der erste Teil! Der erschien 2003. Es schwirren viele Namen in diesem Comeback über die Seiten, viele Details aus den ersten Bänden spielen eine Rolle. Puh.

„Tintenherz“ von Cornelia Funke: Die Rückkehr von Staubfinger und Co.

Der neue, mehr als 300 Seiten dicke Band berichtet davon, dass Staubfinger und seine Freunde ein glückliches Leben in Ombra führen. Bis eines Tages Eisenglanz, der Glasmann des bösen Orpheus, gesichtet wird. Staubfinger ahnt sofort, dass das nichts Gutes bedeuten kann. Doch ehe er die, die ihm lieb sind, warnen oder schützen kann, sind sie alle verschwunden. Alle, bis auf seinen Freund, den schwarzen Prinzen.

Orpheus will mit diesem Akt Rache nehmen, das ist Staubfinger sofort klar. Und er will ihn zu sich locken, in die Stadt Grunico. „Mach dich auf nach Norden, Feuertänzer“, wird Staubfinger von Orpheus aufgefordert. „Dort wirst du erfahren, wie du die, die du liebst, wiedersehen kannst. Aber du musst allein kommen.“ Staubfinger weiß, dass diese Aufforderung eine Falle ist.

Er macht sich dennoch auf, um seine Freunde zu befreien. Begleitet wird er von dem schwarzen Prinzen, seinem Stiefsohn Jehan und einer jungen Frau aus dem Wald. Wie die Freunde schnell herausfinden, wurden alle Verschwundenen in ein Buch gemalt, doch wie sollen sie sie von dort befreien? Es ist alles wieder ein großes Abenteuer mit vielen fantastischen Bezügen.

Cornelia Funke gelang mit der „Tintenherz“-Reihe ein Welthit

Als ich die Ankündigung zum neuen Roman von Cornelia Funke vor einigen Wochen sah, wusste ich sofort, dass ich noch einmal in die magische Welt der ehemaligen Hamburgerin, die nach vielen Jahren in Kalifornien heute in Italien lebt, eintauchen wollte. Zu schön waren die Erinnerungen an die Stunden mit den ersten drei Bänden.

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Nicht nur im Nachhinein eigentlich erstaunlich – ich war beim Erscheinen von „Tintenherz“ bereits Studentin. Ich weiß heute nicht mehr, wer mir nahegelegt hat, dieses Buch zu lesen. Ich weiß nur, dass ich es tat – und sofort vollkommen gefesselt war. Dabei hatten mich Fantasy-Bücher nie interessiert. Die Welten von Elfen, Feen oder Zauberern waren nicht meins, ich las lieber Krimis oder historische Werke.

Dennoch, „Tintenherz“ ließ mich nicht los. Cornelia Funke hat vom ersten Band an einen Nerv bei mir getroffen, den ich bis heute nicht ganz erklären kann. Ich wurde in diese Geschichte, in diese düstere Stimmung, die Funke so gut zu erzeugen vermag, gezogen. Ich konnte das Buch nicht weglegen. Nachdem mich „Tintenherz“ so gepackt hatte, las ich auch die anderen beiden Bände bereits kurz nach Erscheinen.

Cornelia Funkes „Tintenherz“-Trilogie: kein klassisches Jugendbuch

Klar ist, dass Cornelia Funke mit dieser Trilogie keine klassischen Jugendbücher geschrieben hat. Es zieht Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen in den Bann. Warum das so ist? Vielleicht auch, weil Funke ein grundlegendes Thema wie Freundschaft anspricht, das für alle Generationen wichtig ist. Auf eine Weise, dass man sich als 30-Jährige wie als 15-Jähriger wie als 50-Jährige angesprochen fühlt. Der Stoff ist aufregend, das ist gute Unterhaltung, und man gibt sich ihr hin, auch wenn die Helden viel jünger sind als man selbst.

Das Buchcover von „Tintenwelt 4: Die Farbe der Rache“, erschienen bei Oetinger.
Das Buchcover von „Tintenwelt 4: Die Farbe der Rache“, erschienen bei Oetinger. © Verlagsgruppe Oetinger | Verlagsgruppe Oetinger

Ich weiß, dass ich bis heute hin und wieder gerade von der Dunkelheit und Brutalität einzelner Szenen beeindruckt bin. Meinem zwölfjährigen Sohn würde ich es vielleicht auch deshalb noch nicht in die Hand geben – wobei Kinder die Szenen sicherlich mit ganz anderen Augen lesen und verarbeiten. Streng genommen ist „Harry Potter“ ja nicht weniger brutal.

„Tintenherz“-Band „Die Farbe der Rache“: An drei Abenden ist man dann wieder durch

Nach dem holprigen Start in den vierten Band ging es mir auch bei „Die Farbe der Rache“ wieder genauso wie mit jedem anderen der „Tintenwelt“-Reihe. Ich wollte weiterlesen, immer weiter. In gerade einmal drei Abenden habe ich den vierten Band verschlungen – und obwohl ich verdammt müde war, las ich immer viel zu lange. Die düstere Stimmung ließ mich nicht los, ich wollte wissen, wie es Staubfinger und seinen Freunden ergeht. Ich bin heute eine andere als die, die ich vor 20 Jahren war, nicht nur, weil ich keine Studentin mehr bin, sondern Journalistin und zweifache Mutter – und ich bin trotzdem wieder in den Bann des Stoffs geraten. Man könnte das die Magie von Literatur nennen.

Cornelia Funke hat in ihrem vierten Tintenwelt-Band übrigens nicht mehr nur die Kraft der Worte als zentrales Thema gewählt. Waren es in den drei Büchern zuvor noch diese Wörter gewesen, die eine außergewöhnliche Wirkung entfalten konnten, widmet sich die Autorin nun der Wirkung der Bilder. Die Freunde von Staubfinger werden in ein Buch gemalt und verschwinden. Keine Worte, kein Zauber können sie daraus befreien. Und Staubfinger scheint machtlos.

Die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke auf einem Foto aus dem Jahr 2017.
Die Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke auf einem Foto aus dem Jahr 2017. © dpa | Christophe Gateau

Die Autorin berichtet, dass sie ganz bewusst die beiden Themen in diesem Buch gegeneinanderstellen wollte, quasi ihre „Tintenwelt“-Reihe mit der Bildergeschichte ergänzen wollte. „Worte können uns beibringen, eigene Bilder zu finden. Sie können Bilder malen. Bilder dagegen können viel von dem einfangen, was wir mit Worten schwer oder gar nicht ausdrücken können“, sagt Funke.

Damit schließt sich für Cornelia Funke ein Kreis. Sie selbst sagt über den Entschluss, einen vierten Band zu schreiben: „Zu diesem hat mich einiges gebracht: die Tatsache, dass Orpheus damals entkam, obwohl ich ihm eigentlich ein finsteres Ende schreiben wollte. Meine Arbeit als Illustratorin und die Frage, ob Bilder mächtiger sind als Worte, und meine Liebe zum Schwarzen Prinzen, über den ich immer schon mehr erfahren wollte.“

Alle diese Fragen werden im vierten Buch beantwortet, auf spannende Weise. Wie hätte ich da widerstehen können?