Hamburg. Jordi Savall und sein „Le Concert des Nations“ begeisterten beim ersten seiner drei Laeiszhallen-Konzerte mit zwei der neun Sinfonien.

Welch ein Luxus, so etwas als Vergleichsprogramm geboten zu bekommen: Genau einmal vier Wochen ist es erst her, dass Christian Thielemann und die Dresdner Staatskapelle in der Elbphilharmonie ihre klassizistische Sicht auf Beethoven 6 und 7 präsentierten, mit Wucht und Tiefe, sonorem Ausbreiten und erhabener Noblesse. Und nun also das komplette, drastische, dramatische Gegenteil.

Die gleichen Stücke, dieselbe Musik – und doch war alles abenteuerlich anders, als Jordi Savall in der Laeiszhalle mit dem Spezialisten-Ensemble „Le Concert des Nations“ von Grund auf neu dachte. Und, schöner noch, beide Säle verstärkten diesen Lerneffekt mit ihren individuellen Klang-Charakteren.

Jordi Savall in der Laeiszhalle: Beethoven, radikal und aufregend anders

Savall, geschmeidige 80 Jahre jung, ist der wohl faszinierendste Universalgelehrte, den sich Musik als Hinterfrager und Würdiger wünschen kann. Sein Repertoire-Umfang beginnt im Mittelalter und endet nicht in Europa. Er denkt und dirigiert nicht mit suchendem Blick nach vorn (und ist dabei völlig uneitel), sondern mit der gelebten Erkenntnisweisheit des Vorangegangen. Mit dem filigran herausgearbeiteten Bewusstsein für genau jenen Moment, in dem die jeweilige Komposition frisch und evolutionär war. Wenn sie außerdem noch so revolutionär ist wie die neun Beethoven-Sinfonien – umso besser, weil zu erleben ist, dass Musik so viel mehr ist als bloßes Nachsortieren der Noten auf dem Papier.

Fundamental wichtige Zutaten von Savalls Erfolgsrezept sind die Orchesterbalance und ihre Konsequenzen. Kleiner und feiner, angespitzt und sanft. Weniger Streicher als gewohnt, Darmsaiten und historische Bögen für sehnig-schlanken, hellen Klang, und als ergänzendes Gegengewicht die Bläser mit historisch passenden Instrumenten. Engere Mensuren, andere Farben mit interessanten Unebenheiten; weniger PS, aber gerade deswegen eine ganz andere Bodenhaftung im Zusammenspiel. Ganz anders auch als bei Teodor Currentzis, der mit seiner Originalklang-Deutung sehr in die Extreme geht, ist Savalls Beethoven von gespannter Gelassenheit geprägt.

Aus dem kompletten Beethoven-Zyklus Savalls wurde leider nichts

Immer wieder darf man an diesem Abend als Publikum staunend miterleben, was so alles in der Partitur steht und andernorts aber so nie zu hören ist: Savall ermöglicht der Musik ein ganz anderes, freies, unforciertes Atmen. Immer wieder blitzen überraschende Akzente auf: Im dritten Satz der Siebenten die geradezu putzigen verfremdet wirkenden, aber nun mal originalgetreuen Einwürfe der Naturhörner. Im Finale die Umgewichtung zwischen dem Furor der Streicher und dem Triumphgehabe des Blechs, das damit kaum durchdringt. So gehört, ist das gute Stück kaum wiederzuerkennen. Oder die Passage im ersten Satz der Pastorale, als sich auf einmal fadenfein das strohalmdünne Solo-Fagott mit dem Thema meldet.

Aus dem kompletten Beethoven-Zyklus Savalls, der schon mehrfach für Hamburg geplant war, wurde leider nichts. Doch was davon, mit immerhin vier Sinfonien, als Halbkreis übrig blieb, darf schon vor der zweiten Runde als sensationell bezeichnet werden.

Konzerte: Am 17.10. (11 Uhr) wird dieses Programm wiederholt. Um 20 Uhr folgen Beethovens 8. und 9. Sinfonie. Karten: www.elbphilharmonie.de. CDs: Beethoven Sinfonien 1 – 5. Les Concerts des Nations (Aliavox, 3 CDs, ca. 40 Euro) / Teodor Currentzis: Beethoven Sinfonie Nr. 5 bzw. 7 (Sony Classical, jeweils ca. 13 Euro).